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Pechnikova

© dpa

Oper: Kleider machen Meute

Jossi Wieler & Sergio Morabito wagen sich in Stuttgart an Halévys "Jüdin“. Der begrüßenswerte Versuch hat die Chance, über gewisse normierte szenische Aktualisierungstendenzen hinaus zu neuen Ufern aufzubrechen. Doch er misslingt.

Stuttgarts Staatsoper wartet nach Berlioz „Trojanern“ nun mit einer weiteren Grand Opera auf: Fromental Halévys „Jüdin“, ein Schlüsselwerk – ebenso vielschichtig wie fragwürdig, lebendig wie überholt, monumental in Szene gesetzt vom Duo Jossi Wieler / Sergio Morabito.

In Paris steigert sich der jüdische Komponist Halévy 1835 zu einer Initialleistung. Gemeinsam mit dem berühmten Autor Eugène Scribe gelingt es ihm, den Zeit- und Publikumsgeschmack modellhaft zu treffen: Musik und Szene in „La Juive“ wollen spektakuläre und opulente Bilder zeigen, die Ideen, Meinungen, politische Haltungen mit dem Effekt transportieren, dass man sich identifizieren kann. Was wäre dazu besser geeignet als der ewige Gegensatz von Christen und Juden, hier in seiner mittelalterlichen Gestalt aus der Zeit rund um das Konstanzer Konzil von 1414 – als suchte der Geist der französischen Revolution historische Vor-Bilder.

Der begrüßenswerte Stuttgarter Versuch hatte also die Chance, über gewisse normierte szenische Aktualisierungstendenzen hinaus zu neuen Ufern aufzubrechen. Das misslingt hauptsächlich, weil die Ästhetik des Tableaus verfehlt wird. Man setzt auf die gute alte Drehbühne, lässt Bernd Neumann ein hyperrealistisches Konstanz-Bildchen bauen und spielt im jeweils nach vorn gedrehten Zwickel uralte Pathos-Oper – vom Häuschen, in dem der Goldschmied Eléazar mit seiner Tochter Rachel lebt (einem von ihm jüdisch erzogenen Christenkind), bis zum finalen Kerker.

Bei den Außenszenen stehen die Protagonisten weitgehend an der Rampe herum oder werfen sich malerisch auf den Bühnenboden. Die Innenbilder des mehrstöckigen Lattengebildes im Ikea-Look holen hingegen etwas vom Tableau wieder herein. Erst dadurch kann auch die Musik Halévys geortet werden: als Illustrationsmoment, im guten Sinn. Und ums Bildhafte geht es Halévy weit mehr als ums Szenische an sich: Seine dramatischen Momente sind – sehr modern! – gleichsam bloß Zitate des Dramatischen.

So arbeitet sich die Regie unter der Last ihrer ästhetischen Hypotheken ab. Auch die Kostüme Nina von Mechows leiden unter dem Irrtum, man könne der Zufälligkeit heutiger Alltagskleidung Bedeutung anheften, indem man sie mit historischen Versatzstücken drappiert und dadurch die Überzeitlichkeit der zu verhandelnden Probleme manifestiert. Das gelingt Wieler und Morabito an diesem Premierenabend ein einziges Mal: Wenn die christliche Menge, die den Juden und seine Tochter auf dem Scheiterhaufen brennen sehen will, das Pogrom gleichsam herausschreit und sich in jüdische Grotesk-Karikaturen verwandelt, mit langen Nasen und anderen typischen Versatzstücken, wie sie der Antisemitismus durch die Jahrhunderte erfunden hat.

Musikalisch weist Halévys Werk große qualitative Unterschiede auf. Aber es hat unerhörte Stärken. Dem Chorischen entsprechen Michael Alber und der Stuttgarter Opernchor bestens, auch die Ensembles haben Größe. Jeder berichtet hier sozusagen von sich selber, und diese Vereinsamung weiß Halévy brillant umzusetzen, besonders dort, wo die drei Protagonisten aufeinanderstoßen. Stilsicher tänzelt Dirigent Sebastien Rouland zwischen epischem Gestus und dramatischem Moment, federnd fängt er die Sängergeschicke ab und lässt die Musik leuchten, wo sie wirklich bildlich spricht.

Wo Halévy allzu flach wird, hält er sich hingegen geschickt zurück. Arien, in denen das Ornamentale des Belcanto konventionell wird und wahllos dem Inhalt gegenüber: Bei Prinzessin Eudoxie geschieht dies dann und wann, was Catriona Smith allerdings mit Virtuosität und Intensität überspielt – auch wenn sie szenisch recht billig als Gegenspielerin (und Gattin von Rechas Liebhaber Léopold) den Typus der Schönen und Reichen persiflieren muss.

Recha wird von Tatiana Pechnikova gesungen und bringt alles mit, sicheren Gesang, betörende Piani, Farben, Persönlichkeit, Präsenz. Von der Regie jedoch wird sie klischeehaft geführt und kann sich als Person kaum entfalten.

Und nun das Problem: die Männer. Die beiden Stückträger Eléazar, der Vater, und Léopold, der Liebhaber, sind beide Tenöre. Ihre Partien gehören zum Schwersten, schon physisch. Nur die Größten der Belcanto-Geschichte konnten das: Caruso, Slezak, Joseph Schmidt. In Stuttgart ist Chris Merritt als Vater gut besetzt, nur: Stimmlich bleibt sein Einsatz ein Gewaltakt. Von Ferdinand von Bothmers Léopold wird ähnlich Schwieriges verlangt – er ist durchaus zwingend im französischen Parlando, mezza voce, dort sogar hell und agil, nur steht ihm die Höhe nicht sauber zur Verfügung. Und so scheint das Stück schon aus akutem Tenormangel zu weiterem Dornröschenschlaf verurteilt.

Jedoch: Kennen wir seine Problematik nicht ohnehin aus berufenerer Feder (man denke an Lessings „Nathan“)? Sollte man’s nicht einfach belassen bei Einzelarien, etwa beim Wundergesang des Eléazar am Schluss, Stuttgarter Tenortraum und -trauma zugleich? Mehr als im deutschen Volkslied von der „schönen Jüdin“ steht, wissen Halévy und Scribe nicht zu berichten: „Eh ich mich lasse taufen, viel lieber will ich ersaufen“. Für fünf Stunden Oper im 21. Jahrhundert ein bisschen wenig.

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