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Don Giovanni

© dpa

Salzburger Festspiele: Warte nur, balde ruhest du auch

Revolutionäre Klänge: Claus Guth gelingt bei den Salzburger Festspielen ein genialer "Don Giovanni" - und das Mönchsberg-Museum erforscht die Beziehungen von Musik und bildender Kunst.

Der Blick von der Humboldt-Terrasse am Mönchsberg ist atemberaubend: Rechts ragt die Festung Hohensalzburg auf, barocke Kirchturmkuppel glänzen im Sonnenlicht, unten schießt schäumend die Salzach vorbei, und drüben, im Mirabellgarten, paradiert ein Spielmannszug, unsichtbar für den Wanderer. Der Wind hat mir einen Marsch erzählt. Wenn nur der Zivilisationskrach nicht wär: Autos hupen, eine Feuerwehrsirene durchschneidet die Luft, dann schiebt sich ein Hubschrauber ins Bild, kreist hartnäckig über der Stadt. Platzkonzert geplatzt - zumindest für den Langstreckenlauscher auf dem Berg.

Also schnell die paar Schritte zum Museum der Moderne, wo unter dem Motto "Sound of Art" die Beziehung von Musik und bildender Kunst erforscht wird. Da sind sie auch schon wieder, die kleinen Militärtrommeln, jetzt allerdings von technischen Vorrichtungen mirakulös bedient. Es ist eine Installation von Rebecca Horn, die heuer auch eine der Salzburger Festspielproduktionen ausstatten wird, "Luci mie traditrici" vom zeitgenössischen italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino.

Die Ausstellung beginnt historisch mit Sciarrinos Landsmann Paganini, dessen Teufelsgeigermimik Maler und Zeichner inspirierte. Musikautomaten aus dem Frankreich des späten 19. Jahrhunderts lassen Mädchenpuppen kopfnickend Klavier spielen. Die Geige, erfährt man, war dagegen nichts für höhere Töchter, des engen Kontakts mit dem Instrument wegen. Die Angst vor der erotisierenden Wirkung der Musik geht noch lange um: Als die Cellistin Charlotte Moormann 1967 kaum bekleidet in Nam June Paiks "opera sextronique" die sinnliche Symbiose von Interpretin und Streichinstrument feiert, wird sie von der Sittenpolizei festgenommen.

Rührend, wie die angry young men Paik, John Cage, Wolf Vostell oder Günther Uecker gegen den konventionellen Musikbetrieb rebelliert haben, indem sie Klaviere - diese Musiktruhen gut möblierter Bürgerlichkeit - zertrümmerten und vernagelten, indem sie Geigen am Halsband durch Gelsenkirchen schleiften. Tempi passati, Luftschlösser für das Mönchsbergmuseum. Drunten im Salzburger Festspielbezirk haben sie keine Probleme mit Ritualen. Hier regiert Luxus statt Fluxus, hier ist die Klassikgesellschaft noch eine feudale Klassengesellschaft. Hüben die Gaffer mit Fotohandys im Anschlag, drüben die echten Hoheiten und der europäische Geldadel.

Die hierarchischen Abhängigkeitsverhältnisse des Mozart'schen "Don Giovanni" sind ihnen wohlvertraut. Bei Ticketpreisen bis 370 Euro schwingen in dem Gesellschaftsstück von 1788 durchaus heutige Konnotationen mit. Und Regisseur Claus Guth verlegt die Geschichte tatsächlich in die Welt der Schönen und Reichen von heute. Dabei beweist der 44-Jährige erneut, dass er handwerklich der Beste seiner Generation ist. Guth ist so gut, dass er "Don Giovanni", das alte spanische Wüstlingsdrama, auch im dunklen deutschen Wald inszenieren könnte.

Genau da nämlich spielt sich die todernste Geschichte jetzt im Salzburger "Haus für Mozart" ab. Und die geht bei Claus Guth so: Donna Anna ist ein Mädchen aus besten Kreisen, in dem sensiblen Intellektuellen Ottavio meint sie den angemessenen Partner gefunden zu haben. Dann aber begegnet sie dem Lebens- und Liebeskünstler Giovanni, der ihren Köper in Flammen setzt. Sie gibt sich ihm hin, schreckt zurück, vergeht vor Geilheit, will sich an dem Mann rächen, der ihre Lebensplanung zerstört hat. Am Ende wirft sie alle Statussymbole ab, den Schmuck, die Designerklamotten, und rennt ziellos ins Dunkel.

Es ist tollkühn von Claus Guth, den Wald als Metapher zu wählen, als Don Giovannis Jagdrevier, als Ort menschlicher Urängste, als Dickicht der Gefühle auch, in dem die Protagonisten sich vor lauter Bäumen selber nicht mehr sehen. Und es ist schier genialisch, wie der Regisseur seine Versuchsanordnung durchspielt, dreieinhalb Stunden im Einheitsbühnenbild auf der Drehscheibe.

Sein Ausstatter Christian Schmidt hat ihm eine filmrealistische Szenerie entworfen, hoch aufragende Kiefern mit so dichten Kronen, dass kaum ein Lichtstrahl den Weg bis auf den moosigen Grund findet. Lichtdesigner Olaf Winter operiert virtuos mit dem Schattenspiel der Wipfel, mit diffusem Sonnenschein und waberndem Nebel. Und die Sänger leisten Übermenschliches, absolvieren im Halbdunkel einen Dauerwaldlauf über unebenes Terrain.

Und doch wirkt in dieser Inszenierung nichts eingeübt oder geschauspielert, hier entfaltet sich die Geschichte in einem organischen Erzählfluss, mit einer stringenten Direktheit, wie man es auf Opernbühnen kaum je erlebt hat. Sogar die Rezitative lösen sich in veritable Dialoge auf, die Sänger raunen, schnurren, zischen, dass einem der Atem stockt.

Christopher Maltmann ist ein harter Hund mit der Ausstrahlung eines Daniel Craig: Don Giovanni als unsterblicher Bond-Typ, der schon in der Eröffnungsszene vom krepierenden Komtur einen Bauchschuss verpasst bekommt und sich mit sehrender Wunde dennoch weiter zu den Weibern schleppt. Maltmann hat alle stimmlichen Facetten für den Wüstling, vom sinnlichen Locken der Serenade bis zum Furor des Finales. Ein Ereignis.

Ihm zur Seite steht Erwin Schrott, der Verlobte von Opernpopstar Anna Netrebko - und schüttelt alle Vermutungen, nur wegen seiner Liebsten als Leporello engagiert zu sein, lässig ab: Was für eine Bühnenpräsenz! In seiner archaischen Wildheit ein perfekter Kontrast zum smarten Don Giovanni. Und auch sein polternder Bass passt zu dem tumben Proll, als den Claus Guth diese Figur zeichnet.

Von packender Intensität ist auch Annette Daschs Donna Anna, die stimmlich an ihre Grenzen geht. Mozart-Gesang auf höchstem Reflexionsniveau bieten dagegen Matthew Polenzani als Ottavio und Dorothea Röschmann als Elvira. Dazu entfacht Bertrand de Billy mit den Wiener Philharmonikern einen schlanken, strahlenden Klassikerklang, wie man sich ihn geistvoller, berückender nicht wünschen kann.

Nach so einem Abend ist man versucht, in die Hymne auf die Heilkraft der Musik einzustimmen, wie sie Elke Heidenreich als Eröffnungsrednerin der diesjährigen Sommerfestspiele mit der ihr eigenen, etwas aufdringlichen Emphase in die Felsenreitschule gejubelt hat: "Es ist die Kunst, die das Menschsein rettet. Es ist die Kunst, die uns hält, tröstet, die die einzige Gewissheit im Unbegreiflichen ist. Die Kunst kann nie die Wahrheit sein, nach der wir vergeblich suchen; aber sie ist wahrhaftig, sie ist die einzige Luft, die wir atmen können in unserem Lebenskäfig, in dem wir eingeschlossen sind, bis der Tod sanft oder unsanft den Käfig endgültig zumauert. Der Tod gewinnt das Endspiel, aber die Musik schwebt lächelnd darüber."

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