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© senator

Porträt: Das Wir-Gefühl

Auch Dreißigjährige haben eine Seele: Eine Begegnung mit dem Regisseur Martin Gypkens. Auf sich aufmerksam machte er 2003 mit seinem Debütfilm „Wir“, der auch auf der Berlinale lief.

Wohin man auch reist, am Ende kommen Touristen. Im schlimmsten Fall andere Deutsche. Die Furcht vor den eigenen Landsleuten in der Ferne, „dieser Individualitätsdrang“, das sei tatsächlich ein typisch deutsches Phänomen, mutmaßt Regisseur Martin Gypkens, der gerade in fünf Ländern „Nichts als Gespenster“ nach Geschichten von Judith Hermann gedreht hat. Ein Film, der unter anderem von der Schwierigkeit erzählt, den eigenen Blick auf die Dinge zu finden. Auch für einen Regisseur nicht immer leicht.

„In Amerika haben wir schnell gemerkt: Egal, wo man die Kamera hinstellt, man bekommt zwar immer ein grandioses Bild, es ist aber auch ein Bild, das dich an andere Filme erinnert“, erzählt Gypkens. Er persönlich findet das nicht schlimm, schon beim Lesen der Amerika-Episode habe er sich gefreut: „Daraus kann man ein kleines Roadmovie machen, mit den klassischen Orten – Diner, Tankstelle, Motelzimmer.“ Roadmovie-Fan ist er seit Jugendtagen, aus der jüngeren Zeit fallen ihm „Transamerica“ ein, den er mochte, auch „About Schmidt“. Ein „sehr spezielles Roadmovie“, das er sich zur Vorbereitung angeschaut habe, war Antonionis „Zabriskie Point“. Kein schlechtes Vorbild.

Gypkens, 38 Jahre alt, ein hoch aufgeschossener Typ in Trainingsjacke, der Bart kurz gestutzt, sitzt in einem Kreuzberger Café und spricht über das Fernweh, die Karriere, Träume. Vier Jahre sind seit seinem Langfilmdebüt „Wir“ vergangenen, dieser Coming-of-Age-Ballade über eine Gruppe Mittzwanziger. Hat er das Gefühl, dass die Figuren in „Nichts als Gespenster“ reifer geworden sind in ihren Wünschen? Oder haben sich nur die Lebensumstände geändert? „Es sind erwachsenere Sehnsüchte“, findet Gypkens. „In ,Wir’ stürzen sich die Figuren noch mit voller Kraft ins Nachtleben und denken, sie würden die Welt erobern. Hier sind sie ein bisschen ernüchterter, aber dadurch auch glücksfähiger.“ Sie hätten die Dreißig überschritten, „die Jugend ist vorbei, das Erwachsensein beginnt, und plötzlich fragt man sich: Sollen die Entscheidungen, die ich getroffen habe, für die nächsten zehn Jahre gelten?“ Ein Wendepunkt, an dem man in sich hineinblicke, aber nicht ertrage, was man sehe. Knüpft er damit an eigenes Erleben an? „Ich bin jemand, der gern mal in sich hineinschaut. Und versucht’s auszuhalten“, sagt Gypkens und lacht.

„Nichts als Gespenster“ hat er 2003 auf der Fahrt nach Prag gelesen, als er mit „Wir“ beim Festival in Karlovy Vary gastierte. Die Judith-Hermann-Lektüre beschere „ein wehmütiges Glück“, findet er: „Hermann gibt diesen vermeintlichen Alltagsbanalitäten, sich unglücklich zu verlieben etwa, eine bestimmte Würde.“ Gypkens hatte Glück; die Rechte an „Nichts als Gespenster“ waren noch zu haben. Der erste Erzählband, „Sommerhaus, später“, war zwar optioniert, mit Ausnahme der Karibik-Episode, die er für seinen Film wollte: „Wir haben das als gutes Zeichen genommen.“ Unverfilmbar seien Judith Hermanns Miniaturen, war immer wieder zu lesen – weshalb eigentlich? „Das habe ich mich auch gefragt“, erwidert Gypkens amüsiert. „Während der Dreharbeiten habe ich das zum ersten Mal gehört und dachte: Aber ich verfilm’s doch gerade! Habe ich irgendetwas an den Geschichten nicht verstanden?“ Allzu große Sorgen musste er sich nicht machen, schließlich hatte er sich zuvor mit der Autorin in einem Café in Mitte getroffen, sich das Plazet für sein Projekt geholt und im Gespräch festgestellt, dass er in seinem Verständnis der Figuren mit der Autorin übereinstimmte.

Gypkens ist ein offener, unprätentiöser Vertreter, auch am Set nach vorsichtiger Selbsteinschätzung eher der familiäre Typ „als der Peitschenschwinger“. Er strahlt Bescheidenheit aus, gleichzeitig das Selbstbewusstsein eines Regisseurs, der nun immerhin mit der ersten Riege deutscher Schauspieler um die Dreißig arbeiten konnte.

Gypkens hat in New York erste Drehorterfahrungen gesammelt, damals wollte er weg aus Deutschland, „eigentlich nach Hollywood“, wie er gesteht. Er blieb dann an der Ostküste hängen, arbeitete bei Dani Levys „I Was on Mars“ als Praktikant, Fahrer, Set-Runner. Später folgte ein Dramaturgie-Studium an der HFF Konrad Wolf – im Studiengang Regie wollten sie ihn nicht –, was er für eine glückliche Fügung hält, schließlich sei er passionierter Geschichtenerzähler. Was schon bei seinem Kurzfilm „Papas“ sichtbar wurde, einer famosen Fake-Dokumentation über den Alltag eines schwulen Paares, das zwei Kinder adoptiert hat. So raffiniert erzählt, dass vielen Zuschauern erst durch den Hinweis auf die deutsche Gesetzeslage im Abspann die Augen aufgingen.

Nun ist für deutsche Regisseure der Weg nach Hollywood heute nicht mehr weit, aber den Kollegen Hirschbiegel, Yapo und Kreuzpaintner nachzufolgen, kann sich Gypkens momentan nicht vorstellen. Mit internationalen Stars zu arbeiten, vielleicht eine deutsch-britische Koproduktion zu drehen, das schon. Aber die Geschichte der vergangenen 40 Jahre habe gezeigt, dass für viele Europäer in Hollywood nichts zu gewinnen sei, was auch für Schauspieler gelte, „angefangen bei Hildegard Knef“. Sein nächstes deutsches Projekt trägt den Arbeitstitel „Die Hingabe“, ein Liebes-Erotikfilm. In der Art von Patrice Chéreaus „Intimacy“ vielleicht? „Um Gottes willen!“, ruft Gypkens, „das war der Film, der das Ganze ausgelöst hat. Den fand ich so grauenhaft lustfeindlich, dass ich dachte: Ich will sehen, dass Sex auf der Leinwand mal wieder Spaß macht.“ Er hat sich nicht wenig vorgenommen.

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