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Kultur: Prager Frühling

KINO

Drei Tage lang hat der Nachbar am Fenster gesessen, und niemand sah, dass er tot war, erzählt der nicht minder betagte František, genannt Fanda, seiner Frau Emilie. Ihm kann das nicht passieren, denn er schlägt nie am Fenster die Zeit tot, und außerdem fasst ihn Emilie mit gutem Grund fest ins Auge. Hat doch Fanda, um seine abenteuerlichen Späße zu bezahlen, das für das Begräbnis angelegte Sparbuch geplündert. Vladimir Michálek und sein erfahrener Autor Jiri Hubac haben dem Altstar der tschechischen neuen Welle, Vlastimil Brodský, in „Frühling im Herbst“ eine Rolle auf den Leib geschrieben, wie sie nicht passender sein könnte (Kino Balazs, heute Matinee in Anwesenheit des Regisseurs, 12 Uhr). Brodský, der bei uns vor allem durch mehrere Filme von Jiri Menzel und Frank Beyers „Jakob der Lügner“ (Goldener Bär als bester männlicher Darsteller bei den Berliner Filmfestspielen 1975) bekannt wurde, darf hier ein letztes Mal jemand sein, der gern andere zum Narren hält.

Wer seinen Spaß haben kann, auf den hat der Tod noch kein Recht, schien Brodský dem Publikum zuzurufen, bevor er, kurz nach der erfolgreichen Premiere, mit einem Schuss in den Kopf dem drohenden Siechtum zuvorkam. Mit 81 Jahren war er da fast so alt wie Fanda, der einst an der Prager Oper im Chor sang und es in der gemütlichen Neubauwohnung nicht lange aushält. Dass Brodský vor den Dreharbeiten einen leichten Schlaganfall erlitten hatte, schien ihn für die Darstellung des verwegenen Charmeurs nur noch besser zu prädestinieren. In Stella Zázvorková als geplagter Ehefrau fand er die passende Partnerin, die ihm mit seufzendem Gesicht Paroli bietet und ihn, nein Fanda, beinahe domestiziert, indem sie den allzu frechen Lügner vor den Scheidungsrichter bringt.

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