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Birgit Unterweger und Alexander Khuon in Tschechows „Platonow“.

© Arno Declair

Premiere am Deutschen Theater Berlin: Letzte Regungen

Timofej Kuljabin verlegt Tschechows Frühwerk „Platonow“ ins Seniorenheim für Schauspieler. Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand

Malerisch dämmert Anna Petrowna in ihrem Polstersessel vor sich hin. Den aus der Mode gekommenen Spitzenumhang um die Schultern drapiert und die Gehhilfe griffbereit ans Sitzmöbel gelehnt, frönt sie ihrem unfreiwilligen Mittagsschläfchen. Vielleicht ist es auch ein Abendnickerchen, wer weiß.

In der Originalversion von Anton Tschechows „Platonow“ würde Anna Petrowna – eine junge Generalswitwe – jetzt ihrem Gast, dem Arzt Nikolai Iwanowitsch Trilezki, von ihrer „Langeweile“ berichten und säße dabei am Flügel. Bei Timofej Kuljabin, der dieses Frühwerk des Dramatikers jetzt im Deutschen Theater Berlin inszeniert, sind die Zeiten der aktiven Kunstausübung längst vorbei. Stattdessen schlappt der alte Trilezki in funktionalem Schuhwerk an die schlummernde Anna heran, hält ihr seine Brille vors Gesicht und macht erst mal den Vitalcheck: Beschlägt das Glas oder nicht?

Die Konzeption für das Stück stand schon vor dem Ukraine-Krieg fest

Ein „Seniorenheim für die Veteranen der Bühne, irgendwo in Russland“ ist das Setting, das sich Kuljabin für seine gemeinsam mit Roman Dolzhanskiy erstellte Tschechow-Version ausgedacht hat. Die Konzeption für diesen DT-Abend sei zwar bereits vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine weit fortgeschritten gewesen, erfährt man aus einem Gespräch des Regisseurs mit dem Dramaturgen John von Düffel im Programmheft.

Aber sie habe sich noch einmal „sehr zugespitzt“, sagt Kuljabin, der – vormals künstlerischer Leiter des Theaters „Rote Fackel“ in Nowosibirsk – seit Kriegsbeginn im Exil lebt. In gewisser Weise spiegele das Figurenensemble „die russische Intelligenzija oder Künstlerschaft“ wider – „verloren und abgeschnitten von der Gesellschaft“, so der Regisseur weiter.

Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. Die metaphorische Lesart vom Ende der Kunst und Sterben der Kultur klingt auf dem Programmheftpapier plausibel. Ihr zu folgen, ist angesichts dessen, was auf der Bühne stattfindet, eine Herausforderung.

Das beginnt schon bei der eher drolligen Alters-Aufmachung des DT-Ensembles. Unter pittoresken Grauhaarperücken sind da die mutmaßlich kunstfertigsten Wangenfaltenwürfe der Saison zu bestaunen. Aus astreinem Vintage-Chic oder gewagten Spät-Dandy-Outfits ragen neckische Altersbäuchlein hervor.

Dass die Schauspieler:innen ihren Figuren jeweils eine besondere Marotte spendieren, ist zwar verständlich, aber nicht zielführend. Katrin Wichmann holt als dezidiert sexpositive Anna Petrowna gern ihre Trillerpfeife hervor, wenn’s ihr zuviel wird. Birgit Unterweger stattet ihre Grekowa – bei Tschechow eine junge, nahe am Wasser gebaute „Frau von zwanzig Jahren“ – mit starker Neigung zum Mundzittern aus, das sich gern im Weinkrampf entlädt.

Kein Wunder, dass plötzlich „Macbeth“ reinrutscht

Max Thommes zaubert als Glagoljew hinter jeder Rückenfalte mindestens einen Plastikblumenstrauß hervor. Bei dem in Kuljabins Seniorenheim versammelten Personal handelt es sich um lauter alte Klein- und Großkünstler, die Tschechow irgendwie nur spielen. Trilezki – von Manuel Harder mit souverän-trockenem Alterswitz übers Szenario geschlurft – verrutscht deshalb kurz, aber durchaus sinnfällig, zu Shakespeares „Macbeth“.

Es ist erstaunlich, wie wenig sich der Verfremdungseffekt dieses Spiels im Spiel tatsächlich transportiert – und wie gering der Mehrwert des Seniorenheim-Settings bleibt. Bei Tschechow verursacht der nihilistische Dorfschullehrer Platonow dramatisch-jugendliche Liebes- und Leidensaufwallungen, indem er notorisch Frauen konsumiert, die er eigentlich nicht will, und die sich ihrerseits in ihn verlieben.

Dass das bei Kuljabin als potenziell letzte existenzielle Gefühlsregung überhaupt stattfindet, lässt sich eher am hohen Rollstuhl- und Rollatoren-Aufkommen erahnen als am Spiel der Akteure. Alexander Khuon gibt einen Platonow mit gern mal täppischen Fluchtreflexen und einem ins Grunzen changierenden Lachen, das er schon seinem Trigorin in Jürgen Goschs „Möwe“ angedeihen ließ, einer anderen Tschechow-Inszenierung am DT.

Die Härte jedenfalls, die in den Sätzen liegt, mit denen er seine Frau (Linn Reusse) oder Sofia (Brigitte Urhausen) abkanzelt, die Gattin seines engsten Freundes (Enno Trebs), transportiert sich kaum.

Am Ende verschwindet die malerisch abgerockte Bretterbühne, die Oleg Golovko fürs Künstlerseniorenheim gebaut und mit alten Plakaten von Tschechows „Möwe“ bis zu Dostojewskis „Idiot“ verziert hat, und gibt den Blick frei auf einen leeren schwarzen Raum mit einer Podestbühne, der gerade von einer Putzfrau (Mathilda Switala) gesäubert wird und auf der in dem zwei leere Stühle stehen.

Der Tod des Theaters, das Sterben der Kunst? Hätten beide in den zweieinhalb Stunden zuvor einen großen Auftritt gehabt, hätte das Bild noch viel härter getroffen.

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