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Delirien in Delhi. Indien braucht Wasser, Farben hat es sowieso. Ein Szene aus „Durst“ im Grips-Theater.

© David Baltzer/Zenit

Premiere am Grips-Theater: Indiens Gold ist blau

Die neue Produktion des Grips-Theaters hat Premiere. Mit „Durst“ beleuchtet die Jugendbühne am Hansaplatz den globalen Krieg ums Wasser.

Mehr als die Hälfte aller Krankenhausbetten auf der Welt ist mit Patienten belegt, die verseuchtes Wasser getrunken haben. Im vergangenen Jahr sind 3,5 Millionen Menschen an den Folgen ihrer Vergiftungen gestorben. Alle 15 Sekunden verreckt irgendwo auf der Erde ein Kind, das keinen Zugang zu sauberem Wasser hatte. Soll niemand behaupten, das Grips-Theater konfrontiere seine jungen Zuschauer nicht mit brutalen Realitäten. Auf der Bühne wird unaufhörlich der Bodycount eingeblendet. Gestartet bei 498 Toten seit Beginn der Vorstellung. Am Ende werden es weit über 700 sein. Nichts als trockene Zahlen?

„Durst“ heißt die Stückentwicklung nach einer Vorlage von Ensemblemitglied Thomas Ahrens, mit der das Haus am Hansaplatz die wichtigste Ressource unseres Planeten ins Bewusstsein rückt: das blaue Gold. Sollte im Überfluss vorhanden sein – und ist doch Mangelware. In den armen Ländern, versteht sich. In naher Zukunft, darin sind sich die Experten einig, werden die Kriege nicht mehr ums Öl geführt, sondern ums Wasser.

Regisseur Florian Fiedler, derzeit Leiter des Jungen Theaters Hannover, erzählt seine Geschichte für Menschen ab 9 Jahren mit zornigem Agitationswillen – zumindest in der zweiten Hälfte des Abends. Da werden dann Bilder aus indischen Kliniken eingeblendet. Mütter mit kraftlosen Babys auf dem Arm, Krankenschwestern, die den Müll unter den Betten zusammenkehren. Spekulative Elendsimpressionen wie aus der „Wasser für die Welt“-Kampagne? Oder notwendige Drastik? „Durst“ gibt jedenfalls auch Gelegenheit, die eigenen Abwehrreflexe zu überprüfen.

Das Stück beginnt etwas holprig. Die junge Pauline, genannt Pauli (Jennifer Breitrück), überredet ihren Vater Daniel (René Schubert), sie nach Delhi mitzunehmen. Der Ingenieur soll dort Wasservorkommen in tiefen Bodenschichten erschließen. Vater und Tochter kommen vor Ort bei Daniels reicher Schwägerin Sheila (Regine Seidler) und deren Sohn Malik (Florian Rummel) unter. Für Pauline bedeutet der Trip zunächst mal: Abenteuerurlaub. Auch wenn Cousin Malik keine Partys am Pool zu feiern versteht, der nebenbei mit 70 000 Litern Wassern gefüllt ist. Stattdessen vergnügen sich die Kids mit dem Dreh eines Bollywood-Movies, in den auch die Hausangestellten Meena (Nina Reithmeier) und Rahman (Robert Neumann) einbezogen werden. Dass Meena eigentlich andere Sorgen plagen als seichte Herzschmerz-Nöte nach Impro-Skript, realisieren die verwöhnten Westkinder erst mal nicht. Tatsächlich liegt der Vater der jungen Inderin im Krankenhaus. Weil er verunreinigtes Wasser getrunken hat.

So bemüht anfangs das zentrale Motiv angespielt wird (wenn Paulines Vater mahnt: „Seit der Privatisierung sage ich dir, trink nicht mehr so viel Leitungswasser!“), so konsequent reißt Regisseur Fiedler schließlich das Ruder herum. Stößt die Protagonisten in die ethischen Untiefen. Und lässt die Kinder in ihrer Elternliebe ins Schwimmen geraten. Tante Sheila tritt hervor als Getränkefabrikbesitzerin, die den Bauern in der Region das Wasser abgräbt – auf dass sie ihr teures Flaschen-Nass kaufen, zum Preis eines Tageslohns. Und Ingenieur Daniel zeigt sich als Naivling mit schmutzigen Händen, der die fatale Entwicklung mit seinen Tiefenbohrungen noch befördert.

Auch die realen Massensuizide überschuldeter indischer Baumwollbauern werden Thema. Die Landwirte der Schwellen- und Entwicklungsländer sind ja oftmals in einen Teufelskreis verstrickt. Ihren längst ausgelaugten Boden müssen sie mit Pestiziden und Dünger tränken – womit sie sich letztlich selbst vergiften. Aber was schert’s hierzulande den Käufer des 5-Euro-T-Shirts made in Bangladesh? „Durst“ – Teil einer internationalen Koproduktion des Grips zum Thema Wasser und Mangel – packt die jungen Zuschauer mit eben diesem konkreten Konflikten. Am Ende stehen der Punk-befeuerte Song „Selber Schuld“. Und die drängende Frage: „Was macht ihr ab jetzt anders?“

wieder 28.4., 18 Uhr (ausverkauft), 29./30.4., 10 Uhr

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