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Kultur: Propaganda muss sein

Eva Züchner porträtiert ihren Vater, den Journalisten Gerhart Weise

Wenn einem dreijährigen Mädchen der Vater abhandenkommt, weil ihn die sowjetische Geheimpolizei GPU nächtens in Kleinmachnow abholt und er für immer verschwindet, kann das leicht zu Mystifikationen führen. Was aber, wenn eine erwachsene Frau nicht nur forscht, was aus ihm geworden ist, sondern auch, was vorher war? Eva Züchner hat getan, was seit den siebziger Jahren fast ein eigenes Genre hervorgebracht hat: Sie hat ihrem Vater nachgespürt. Zu ihrem eigenen Leidwesen ist ihr das nur allzu gut gelungen. Nicht, was das Wesen und die persönlichen Züge angeht – die werden im Verlauf der Suche immer befremdlicher. Wohl aber, was seine Tätigkeit betrifft.

Gerhart Weise war ein ebenso begabter wie charakterschwacher Journalist, ein Opportunist und Chamäleon. Davon haben wir auch heute genug. Doch was kommt heraus, wenn so jemand zwischen 1933 und 1945 Karriere machte? Sein journalistisches Ethos, wenn es das je gab, löst sich spurlos auf, und an dessen Stelle treten Textspuren, die zu lesen nicht nur für die Tochter zur Tortur wird.

Dadurch hebt sich Eva Züchners Buch von vielen anderen der verzweifelten oder hoffnungsvollen Suche nach der Vatervorgeschichte ab: dass sie ein Mosaik an Texten, banalen wie ungeheuerlichen, aus den Archiven heraufbefördert hat, von bürokratischen Verwaltungsakten bis zu Filmskripts, von Liebesbriefen bis zu Durchhalteartikeln, aus dem noch einmal jenes ebenso dubiose wie faszinierende, banale wie monströse Milieu der NS-Propagandaindustrie selbst entsteht.

Die 1942 geborene Eva Züchner, viele Jahre Archivleiterin der Berlinischen Galerie, rekonstruiert ein Geflecht von skrupellosen Schreibern – und entwirft das Bild eines agilen Schulabbrechers, der sich schon vor 1933 an den NS-Schülerbund hält, doch nie offiziell Parteimitglied wird, dem bis zur Reichspresseschule immer wieder ominöse Charaktermängel attestiert werden, der aber überall dabei ist: ein Zelig der Propaganda.

Seine Liebe gehört dem Film und der Artistik, aber er pöbelt mal gegen die „Stinkbomben“ von Kandinsky & Co., wie er mal eine „Langeweilegasbombe“ am Filmhimmel hängen sieht. Er schafft es, bis zum Kriegsende „unabkömmlich“ zu bleiben, verbringt einen einzigen Tag an der Ostfront – als die bereits durch Forst verläuft. Doch schreibt er vom Durchhalten bis zum letzten Moment, in der Presse wie im Film. „Zarte fremde Blume aus den silbernen Träumen des Herbstes“, mit solchen Worten gewann er seine spätere Frau – zur selben Zeit als er für die Geschichte einer flüchtigen Begegnung von – natürlich – Fliegeroffizier und jungem Mädchen einen Preis der Zeitschrift „die neue linie“ erhielt.

Mit seiner Einfühlung in den „Seebären“ Werner Hartmann nahm er den U-Bootfregattenkapitän für sich ein, schreibt ihm seine „Autobiografie“, die ihm ordentlich Honorar verschafft, wie er schließlich als „Schriftleiter“ beim „Reich“ Joseph Goebbels auf sich aufmerksam macht.

Dem Rheinländer gefällt der „großartige Artikel“ überaus, den der Sachse 1942 über den Durchhaltewillen im bombengefährdeten Rheinland schreibt. Gerhart Weise führt als Kriegsberichter im besetzten Paris, wie er an seine Frau schreibt, „eine Art Hemingway-Leben“ – nicht ohne wohlsortierte Beutepäckchen nach Hause. Er darf schließlich Fälschungen und Lügenberichte für die Auslandspropaganda komponieren, um zuböserletzt, als Dramaturg üppig honoriert, an einem besonderen Durchhaltefilm mitzuarbeiten: „Das Leben geht weiter“. Unter der Parole, die Goebbels ausgegeben, und einem Titel, den Weise schon mal für Berichte aus Paris verwendet hatte, sollte ein ähnlich monumentaler Film wie „Kolberg“ entstehen, um der Nachwelt ein pathetisches Bild vom Berliner Durchhaltewillen unter den schlimmsten Bombenattacken zu hinterlassen.

Gedreht wurde bis zuletzt – am Ende in der Lüneburger Heide. Die rund 3000 Meter fertigen Filmmaterials gingen in den Nachkriegswirren verloren. Aber ehe Weise da schon wieder schrieb, hatte er sich noch ein besonders übles Stück geleistet: Er hatte nicht nur keinen Versuch unternommen, seinen Freund Erich Ohser, der als e. o. plauen der Vater von „Vater und Sohn“ war, vor dem Todesurteil wegen Wehrkraftzersetzung zu bewahren, sondern durch eine Aktennotiz selbst zur Haft und damit zu Ohsers Selbstmord beigetragen.

Was es bedeutet, Derartiges über seinen Vater herausfinden zu müssen, mag man sich kaum vorstellen. Umso bemerkenswerter, dass Eva Züchner die Energie aufbrachte, das alles niederzuschreiben – in einem Buch, das uns auf exemplarische Weise vor Augen führt, wie in einem Lumpensystem aus leichtsinniger Verführbarkeit fatale Lumperei wurde.

Eva Züchner:

Der verschwundene Journalist. Eine

deutsche Geschichte. Berlin Verlag, Berlin 2010. 288 Seiten, 24 €.

Erhard Schütz

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