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Kultur: Puppentheater: Schweinigeleien

Eben noch war Sven Igel ziemlich happy. Hatte seine Mutter den aufgeweckten kleinen Kerl doch mit nagelneuen Turnschuhen und sportiven Klamotten aus dem Bett gelockt.

Eben noch war Sven Igel ziemlich happy. Hatte seine Mutter den aufgeweckten kleinen Kerl doch mit nagelneuen Turnschuhen und sportiven Klamotten aus dem Bett gelockt. Doch kaum hat Sven sein neues Outfit übergezogen, trifft er draußen auf der Wiese Fridolin Hase, diesen lässigen Typen mit der dunklen Sonnenbrille und der krassen Sprache, aus dessen Recorder die Techno-Beats immer so ohrenbetäubend scheppern. Gar nicht wieder einkriegen kann sich Fridolin über den völlig uncoolen "Marken-Schrott" von Sven. "Bimba"-Klamotten, muss der Igel lernen, sind mega-out. Wer was auf sich hält, trägt "Silverstar". Klaro?

Alles klar. Jedenfalls für die Kids (ab 5 Jahren), die ein bisschen belustigt und ein bisschen betroffen mit ansehen, wie aus der alten Geschichte von Hase und Igel eine ziemlich zeitgeistige Angelegenheit wird. Was die Puppenspieler von Hans Wurst Nachfahren in ihrem kleinen Theater am Winterfeldtplatz unter dem Titel "Der Wettlauf zwischen Fridolin Hase und Sven Igel" zeigen, kennen die lieben Kleinen nur allzu gut. Mit welch fatalen Folgen der Marken-Fetischismus der Waren-Welt in Kinderzimmern und auf Schulhöfen wütet, wie das angesagte Outfit über Akzeptanz und Außenseiter-Status entscheidet, hat jedes Kind, auch wenn es das Problem sprachlich nicht auf den Begriff bringen kann, hautnah und oft schmerzlich erlebt.

Deshalb sind sie auch gleich voll bei der Sache, ergreifen Partei und drücken dem gedemütigten Sven die Daumen. Das als "Schweinigel" beschimpfte Stacheltier hat nämlich Fridolin erst einen "Markenfuzzi" genannt und dann glatt behauptet, er würde doppelt so schnell laufen können wie der langbeinige Hase. Das kann ja heiter werden.

Wird es auch. Und natürlich lehrreich. Also eine ganz gute Mischung zwischen Unterhaltung und Unterricht. Wahrscheinlich kommen deshalb seit 20 Jahren Schulklassen und Kita-Gruppen zu Siegfried Heinzmann und Barbara Kilian, die ihre Puppen zuerst im Kreuzberger Mehringhof, seit 1993 am Schöneberger Winterfeldtplatz tanzen lassen. Doch das, was sie mit ihren aus Holz, Pappmaché und Stoff selbst gefertigten Hand-, Stab-, Klappmaul- und Rollwagen-Puppen inszenieren, zielt beileibe nicht nur auf ein Kinder-Publikum.

Denn neben den vormittäglichen Märchen-Bearbeitungen von "Der gestiefelte Kater" oder "Schneewittchen" gibt es auch mit grotesken Einaktern nach Tschechow oder einem auf Shakespeare-Motiven basierenden Comical ein Abendprogramm für Erwachsene. Die Liste der von den Nachfahren des Possen reißenden Hans Wurst erdachten und erarbeiteten Produktionen umfasst inzwischen 40 Inzenierungen. Dass es dem mit "Optionsförderung" des Kultursenats bezuschussten Theater finanziell gut ginge, kann man trotzdem nicht behaupten. Der Spiellust tut das aber keinen Abbruch.

"Theater muss Gefühle wecken, traurige wie schöne", ist das ästhetisch-pädagogische Motto von Barbara Kilian. Und genau das geschieht, während Fridolin Hase und Sven Igel ihren Wettlauf austragen. Es wird geschummelt, gelogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Und zum Schluss, wenn alle faulen Tricks ausprobiert und alle Turschuhe heiß gelaufen sind, bleibt sogar noch Zeit für ein paar versöhnliche und wahre Worte. "Wer hat denn nun gewonnen?" fragen die über all ihren Stress und Marken-Streit lachend den Kopf schüttelnden Wettläufer. Gute Frage. Leider wissen die Kinder so schnell keine Antwort. Bitte nacharbeiten!

Frank Dietschreit

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