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Kultur: Qual der Puppen

Uraufführung an der Berliner Schaubühne: „Liebe ist nur eine Möglichkeit“

Die Saison ist kaum ein paar Wochen alt, schon lässt sich konstatieren: Der Trend geht zum Improvisations-Abnick-Theater. Regisseur: Fällt euch was ein? Schauspieler: Vielleicht so? (tanzt, trippelt, singt, grimassiert oder boxt was vor). Regisseur (während er auf die Uhr schielt und schon an die nächste Premiere denkt): Super. Nächste Szene.

Wie man sich denken kann, neigt so ein Abend zu gedanklicher Bescheidenheit und vielen Pointen, die wie Knallfrösche kreuz und quer durch die Gegend explodieren. Also zu großer Disparatheit. Deshalb spielt die Musik eine entscheidende Rolle. Sie unterlegt das Unverbundene mit einem Atmosphärenteppich und täuscht interpretatorische Einheitlichkeit vor, die der Regisseur entweder nicht herstellen kann – oder nicht herstellen will.

In Thomas Ostermeiers Uraufführung von Christoph Nußbaumeders „Liebe ist nur eine Möglichkeit“ an der Berliner Schaubühne kommt dem Song „Golden Brown“ diese wichtige Aufgabe zu. Immer, wenn eine Tanz-, Trippel-, Sing- oder Striptease-Einlage verpufft ist, dreht die Technik die melancholische Heroin-Eloge „Golden Brown“ von den Stranglers auf: lyrische Orgelakkorde. Weiten der Verlorenheit. Aber auch Heiterkeit und Hoffnung erfüllen den halbrunden Bühnenraum, den Jan Pappelbaum mit holzvertäfelter Bar, Tisch, Kreissäge und dem obligatorischen Sofa ausgestattet hat – all das, wofür bei gelungenen Arbeiten nicht die Technik, sondern die Theatermacher zuständig sind.

Mitglieder der Stranglers machten Anfang der Achtzigerjahre durch lustige Kommentare auf sich aufmerksam: „Frauenbewegung ist o. k. Ich mag es immer, wenn sich eine Frau unter mir bewegt.“ Womit wir beim Thema wären. „Die Liebe ist nur eine Möglichkeit“ des 28-jährigen Nußbaumeder spielt in der bayerischen Provinz, unter Menschen, die jeden Tag zur Fabrikarbeit gehen und ihre Ängste und dumpfen Vorurteile über Frauen und Ausländer ebenso pflegen wie das Ritual des Stammtischtrinkens.

Einer von ihnen ist der Analphabet Bernhard, ein rechter Tor mit gutem Herzen, einsamen Nächten und großer Panik vor Entdeckung seiner Schreib- und Leseschwäche. Bernhard bestellt über eine Heiratsagentur die philippinische Frau Graziella und erlebt mit ihr ein kleines Liebesglück, bis die Umstände in Gestalt eines geilen Chefs, eines frustrierten schwulen Kollegen und eines ausländerfeindlichen Bruders die Idylle zerstören und Bernhard ins Gefängnis bringen. Wo er immerhin Lesen und Schreiben lernt. Die Tatsache allein, dass der Autor – wie Ostermeier in Niederbayern aufgewachsen – nicht die verwüsteten Großstadtseelenlandschaften nach, sondern das Landelend vor der sogenannten Selbstverwirklichung beschreibt, macht ihn unter den jüngeren Autoren zur Ausnahme.

Weil Nußbaumeder über einen gewissen Witz verfügt und seine insgesamt vier Stücke Anfang, Mitte und Ende aufweisen, werden sie gern als Volksstücke in der Tradition von Kroetz oder Sperr gesehen. Dafür ist Nußbaumeder aber zu lieb und als Schreiber zu ungelenk. Die Figuren werden mit dem ersten Auftreten übercharakterisiert (Bernhard muss als Zeichen seiner Einsamkeit gleich onanieren), und über die vielen einzuarbeitenden Themen (Ausländerhass, Analphabetismus, Frauen aus dem Katalog) hat der Autor vergessen, die Dramaturgie in den Untergrund des Textes zu versenken. Gleichwohl brodelt etwas unter den überflüssigen Informationssätzen, gibt es bewegende Szenen zwischen den beiden verliebten Außenseitern.

Am Brodeln ist Ostermeier allerdings nicht interessiert. Eher daran, dem Kollegen vom Land zu zeigen, wie es in der großen Stadt so zugeht. Absurderweise holt Ostermeier das Poppige, Modische und Vorabendschauhafte, mit dem der Text nichts zu tun hat, auf die Bühne zurück. Ständig wird getanzt und grimassiert. Felix Römer grinst wie Jack Nicholson und wienert schmierig bis zum Anschlag. Cathlin Gawlich quietscht wie eine Barbiepuppe, und Christoph Gareisen als Bernhards Bruder Gerd darf als Gartenzwergspießer nach Belieben brüllen und drohen.

David Ruland ist mit der Rolle Bernhards heillos überfordert, übertreibt das Gutmütige und huscht mit eingezogenem Kopf durch die Stationen seines Lebens, treu begleitet von seiner immergleichen babyhaften Habt-mich-doch-lieb-Sprachmelodie. Einzig Nicola Gründel als Graziella, die Frau aus dem Katalog, verschleudert sich nicht ans Klischee. Ihre anmutige Standhaftigkeit sorgt für einige Momente. Den Rest regeln die Boxen.

Wieder am 21. und 25. bis 28. Oktober.

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