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Feurige Heimsuchung. Nach dem Tod ihrer Mutter wird Annie (Toni Collette) von Albträumen geplagt.

© Splendid Film

Horrorfilm „Hereditary – Das Vermächtnis“: Rache aus dem Jenseits

In dem Horrorfilm „Hereditary – Das Vermächtnis“ ist die Familie Wurzel allen Übels. Ari Asters gefeiertes Spielfilmdebüt ist ein subtiler Angriff auf die Sinne.

Zielstrebig gleitet die Kamera durch eine dunkle Werkstatt auf das detailliert ausgestaltete Holzmodell eines Hauses zu. In einem der wie in einem Querschnitt offenliegenden Zimmer regt sich plötzlich etwas: Ein Mensch schreitet durch das Miniaturhaus und bewegt sich auf ein Bett zu. Am Ende dieser Fahrt befindet sich die Kamera selbst im Zimmer, nimmt den eben noch kleinen Menschen bildfüllend in den Blick, vergisst die räumliche Umgebung der Werkstatt und erklärt das, was zuvor nur Modell war, zur eigentlichen Wirklichkeit.

Von einem Moment zum nächsten wechselt Ari Asters Mystery-Horrorfilm „Hereditary – Das Vermächtnis“ die Realitätsebenen und verweigert dem Zuschauer so jeden Bezugspunkt, von dem aus sich das Leinwandgeschehen einordnen ließe. Diese Verunsicherung, die die Eröffnungseinstellung etabliert, ist beispielhaft für die stilistischen Mittel, mit denen Aster eine Atmosphäre des sukzessive eskalierenden Grauens erzeugt.

Eine dunkle Macht hat sich bei den Grahams eingenistet, ein Knäuel an bedrohlichen Einflüssen, deren Kraftzentrum die kürzlich verstorbene Familienmatriarchin Ellen ist. Mit ihrem Tod bricht sich eine bislang verborgene Macht Bahn. Ellens Tochter Annie (Toni Collette) wird von düsteren Visionen geplagt, deren Tochter Charlie (Milly Shapiro), die weiter mit der Großmutter in Kontakt steht, verfällt in Katatonie und Annies Sohn Peter (Alex Wolff) erkennt plötzlich überall Anzeichen einer formlosen, doch eindeutig feindseligen Präsenz. Annies Mann Steve (Gabriel Byrne) bleibt als Einziger von dem Fluch unberührt und steht dem zunehmenden Zerfall seiner Familie hilflos gegenüber.

Kampf zwischen Lebenden und Toten

Nach einem tragischen Unfall geraten Annie und Peter aneinander, unverarbeitete Konflikte aus der Vergangenheit schaukeln sich hoch. Die mühsam aufrechterhaltene Harmonie droht nach dem Unfall in Hass und körperliche Aggression umzuschlagen. So entwickelt sich das Verhältnis von Mutter und Sohn zum zentralen Konflikt des Films. Als Annie schließlich selbst Kontakt mit dem Jenseits herstellt, steht plötzlich ihre Beziehung auf dem Spiel. Der Zusammenhalt der Familie wird zu einem Kampf zwischen den Lebenden und den Toten.

Doch Asters Film erzeugt das unterschwellige Gefühl der Bedrohung nicht allein aus der Rückkopplung an menschliche Urängste, sondern insbesondere aus seinem filmischen Rhythmus. Besonders schön gelingt das während einer Teenagerparty, deren ausgelassene Stimmung allmählich von einer diffusen Unruhe heimgesucht wird. Einstellungen wechseln abrupt, oft mitten in einer Handlung, es passiert eigentlich nichts Außergewöhnliches und doch verliert man langsam den Überblick.

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Im Mittelpunkt der Szene steht dann aber kein übersinnliches Phänomen, sondern nur eine biologische Reaktion: ein allergischer Schock. Während des medizinischen Notfalls setzt unvermittelt ein lautes, ausgefranstes Wummern ein, als würde unter der Oberfläche des Sichtbaren bereits ein unkontrolliertes Chaos wüten. Auf dem Weg ins Krankenhaus erweist sich der Zwischenfall tatsächlich als Übergriff einer bösartigen Macht.

Auf diese Art führt „Hereditary“ die Wahrnehmung des Publikums immer wieder gezielt an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit. Im Bewusstsein dieser Überforderung entfaltet die Familiengeschichte ihren eigentlichen Terror. Die Akkumulation von irritierenden Sinneseindrücken mündet in einen Schockzustand, in dem selbst das Blätterrauschen oder sanftes Gemurmel als unerträgliche Reizüberflutungen erlebt werden.

Die Angst als Kontrollverlust

Erst gegen Ende fügen sich die Andeutungen und Fährten zu einem Ganzen, die unsichtbare Bedrohung braucht schließlich doch einen Namen und ein Gesicht. Diese Übersichtlichkeit legt auch die thematischen Motive frei, deren sich Aster bedient – alte und neue Horrorklassiker wie „Rosemary’s Baby“ oder „Der Babadook“. Sein Film richtet sich in diesen Motiven etwas zu behaglich ein. Mitunter wirkt das, als würde eine Erzählmaschine in Gang geworfen, die sich in anderen Filmen schon bewährt hat und von der man deshalb sicher erwarten kann, dass sie selbst bei höchster Intensität nie außer Kontrolle gerät.

Leider geht die Unübersichtlichkeit der früheren Szenen dabei zunehmend verloren. Der Schrecken reißt keine Wunden mehr auf und der Film vergisst, was er in seinen stärksten Momenten so deutlich gemacht hat. Dass Angst im Kern nämlich nichts anderes als ein Kontrollverlust ist: über den eigenen Körper, die eigenen Gedanken, das eigene Erleben.

In 16 Berliner Kinos; OmU: Babylon Kreuzberg, Central, Delphi Lux, Filmtheater Friedrichshain, International, Moviemento, OV: Cinestar Sony Center, Rollberg

Philipp Schwarz

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