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Radiohead

© Davids

Radiohead-Konzert: Die Regenmacher

Klagen und strahlen: Radiohead in der Wuhlheide. Nicht alles passte wie er es wollte. Aber genau darum geht es ja Thom Yorke: nichts ist perfekt.

Zur Zugabe zeigt sich der Perfektionist von seiner verletzlichsten Seite. Thom Yorke kommt alleine auf die Bühne, setzt sich ans Klavier und beginnt „Cymbal Rush“ von seinem Soloalbum „The Eraser“. Es ist ein Klagelied über den Kampf gegen Kontrollverlust. Doch Yorke bricht ab, rückt nervös sein Headset zurecht, beginnt von vorne. Der Gesang passt ihm wieder nicht, wütend stößt er die Stirn gegen das Mikro. Gespannte Stille in der Wuhlheide, ein Moment, in dem alles kippen kann. Beim dritten Anlauf klappt es, und die entrückte Schönheit dieser puristischen Darbietung wird nur dadurch eingetrübt, dass der Sänger gegen Ende etwas energischer in die Tasten haut als nötig.

Kurz ist da der Druck zu ahnen, der auf dem Unternehmen Radiohead lastet. Bis zur Veröffentlichung von „In Rainbows“ letzten Dezember glaubten manche Fans schon nicht mehr an ein weiteres Album. Die Briten haben es sich immer so schwer gemacht wie nur möglich, und sie wären nie so erfolgreich geworden, wären sie nicht von Anfang an vor dem Erfolg geflohen. Der Smash-Hit „Creep“ von 1993 wirkte wie ein Schreckmoment, fortan stemmte sich die Band mit jedem neuen Album gegen Hörgewohnheiten. Mit den Geschwisteralben „Kid A“ und „Amnesiac“ maßen die Briten ferne Klangräume aus, überführten den Alternative Rock in elektronisch konstruierte Klangarchitektur und schufen damit den Soundtrack zum Jahrtausendwechsel, wenn nicht gar zu einer Zeitenwende.

Viele im Publikum erinnern sich an das letzte Radiohead-Konzert in der Wuhlheide. Es war der 11. September 2001, und die Dämonen der technisierten Zivilisation, die Radiohead in ihren Endzeithymnen immer wieder beschworen, hatten ihr Gesicht gezeigt. Diesem Abend widmet Yorke heute „My Iron Lung“. Es ist bemerkenswert, dass die Band ausgerechnet bei einem Stück von 1995 das beste Verhältnis von Material und Ausdruck schafft. Drohend bratzen die Gitarren in die Ruhe der Strophen und türmen sich zum Lärmgewitter des Refrains.

Es regnet, natürlich. Das passt zu Radiohead, wie Thom Yorke selbst entschuldigend feststellt. Es passt vor allem auch zu den Leuchtstäben, die wie Eiszapfen von der Bühnendecke ragen und mal grünen Regen, mal rote Feuerfäden zaubern. Die Lichtshow beeindruckt, trotz Energiespartechnik.

Die zwei Stunden in der ausverkauften Wuhlheide verdeutlichen, was für ein gewaltiges Werk diese Band geschaffen hat. Aber auch, dass sie sich darin teils selbst zu verlaufen droht. Manches wirkt kühl abgefertigt, wie „You and whose Army?“ Hier ist auch die Veränderung in Thom Yorkes Stimme zu hören, die seit „Hail to the Thief“ immer belegter klingt. Radiohead 2008 fehlt eigentlich nur eins: die Grenzen. Sie haben sie selbst eingerissen. Die Wahl des Berliner DJ-Teams Modeselektor als Vorband zeugt davon, dass Klagerock und elektronische Tanzmusik inzwischen ausgesöhnt sind.

Die intensivsten Momente gelingen denn auch in neuen Stücken wie „Nude“ und „Videotape“. Da wirkt Yorke einmal mehr wie ein ängstlich flatternder Vogel, in einer dunklen Kiste gefangen, mit einer einzigen Verbindung nach draußen: dem Mikrofon.

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