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Der Kleinkriminelle Connie (Robert Pattinson) muss innerhalb einer Nacht 10000 Dollar auftreiben, um seinen Bruder zu retten.

© Temperclayfilm

„Good Time“ mit Robert Pattinson: Raubtier im Neonschein

Atemlos durch die Nacht: Robert Pattinson spielt im Actiondrama „Good Time“ gegen sein Image als Teenieschwarm an.

Von Andreas Busche

Diese Liebe hat zerstörerische Züge. Connie liebt Nick, wie man nur einen kleinen Bruder lieben kann. Er allein glaubt zu wissen, was gut für seinen Bruder ist. Darum stürmt Connie kurzentschlossen Nicks Therapie-Session und nimmt den Jungen mit auf eine irre Odyssee. Nick ist geistig behindert, was seine soziale Intelligenz nicht im Geringsten beeinträchtigt. Er ist sensibel, leidet unter starken Temperamentsschwankungen. Doch Connie bestärkt ihn, redet ihm gut zu. Als müsse Nick nur an sich selbst glauben. Und dann stehen sie plötzlich maskiert vor einem Bankschalter und stecken der Kassiererin hinter dem Sicherheitsglas einen Zettel zu.

„Good Time“, der dritte Film von Benny und Josh Safdie (ihr erster mit deutschem Verleih), hat noch nicht einmal richtig angefangen, da schlingert er schon außer Kontrolle. Auf der Flucht explodiert eine Farbpatrone in der Tasche mit der Beute, beim Zugriff der Polizei werden die Brüder getrennt. Nick landet in Untersuchungshaft, während Connie verzweifelt versucht, 10 000 Dollar für die Kaution aufzutreiben. Und die Safdie-Brüder verwenden die folgenden knapp neunzig Minuten auf eine Familienzusammenführung, wie sie das amerikanische Genrekino noch nicht gesehen hat.

Darstellerischer Drahtseilakt

Dabei beginnt „Good Time“ mit einem Standard aus dem Repertoire des Großstadtthrillers: einem Establishing Shot von der Skyline Manhattans. Die Kamera nähert sich aus großer Höhe einem Wolkenkratzer, die Bewegung verläuft zunächst vorhersehbar, doch sie widersetzt sich einer schlüssigen Kontinuität. Die Fahrt endet in voller Bewegung in Nicks Sitzung mit seinem Therapeuten, der ihn gerade einem psychologischen Test unterzieht. Disruption ist das markanteste Stilmittel der Safdie-Brüder. Connies impulsiver Auftritt unterbricht die Session und ehe man sich versieht, haben einen die nervöse Energie von Sean Price Williams’ Kamera und der schabende Synthesizer-Score von Daniel Lopatin in die Handlung gezogen. Die physische Wucht dieser Eröffnungssequenz trägt „Good Time“ über die volle Distanz.

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In den USA wurden Benny und Josh Safdie bereits nach zwei Filmen in einem Atemzug mit John Cassavetes genannt, ihr stilisierter Naturalismus wurde von einigen Kritikern aber auch skeptisch beäugt: eine Spur zu selbstverliebt, sich labend am Elend der Figuren. Ihr letzter Film, das Drogendrama „Heaven Knows What“ (2014), basierte auf den Memoiren des Ex-Junkies Arielle Holmes, die Hauptrolle übernahm die Autorin praktischerweise gleich selbst. In „Good Time“ spielt Benny Safdie den Bruder mit Handicap, zurückgenommen, ohne Tics. Es ist ein darstellerischer Drahtseilakt, der leicht schiefgehen könnte. Aber Safdie hat mit Robert Pattinson als Connie einen Gegenpart, der alle Energien bündelt. Pattinson entwickelt in seinen letzten Filmen ein Faible für unvorteilhafte Gesichtsbehaarung, aber Connie ist noch einmal ein ganz anderes Biest als Pattinsons letzte Rollen: abgerockt, die Haut ungesund gerötet, ein flusiger Bart umspielt sein Kinn, die speckigen Haare stecken unter einem Hoodie. Mit seinem Auftritt in „Good Time“ dürfte er auch die letzten weiblichen „Twilight“- Fans vergrault haben.

Es geht ums reine Überleben

Nick ist das emotionale Zentrum des Films, den Pattinson mit seiner enervierenden Physis beherrscht. Williams taucht ihn bevorzugt in schillerndes Neonlicht, wie ein Raubtier auf nächtlichem Beutezug. Dabei bekommt Connie unerwartete Gesellschaft. Beim Versuch, Nick zu befreien, erwischt er versehentlich den falschen Gefangenen, später nimmt er auch die 16-jährige Crystal (Taliah Webster) als Faustpfand für den gestohlenen Wagen ihrer Großmutter mit. Mit den beiden im Schlepptau bricht er in einen Jahrmarkt ein, wo sein neues Anhängsel Drogengeld versteckt hat. Eine große Karriere als Krimineller steht Connie allerdings nicht in Aussicht, er kann gar nicht so schnell reagieren, wie der nächste Plan scheitert. Mit sardonischem Spaß beobachten die Safides, wie ihm sein Leben und das seines Bruders langsam durch die Finger rinnt. „Good Time“ läuft in seiner gnadenlosen Genre-Mechanik wie eine gut geölte Maschine.

Und je länger der Film dauert, desto deutlicher wird auch, dass sich die Dynamik der Ereignisse verselbstständigt. Was als noble Rettungsmission für Nick begann, verkommt irgendwann zu purem Aktionismus, es geht ums reine Überleben. Nick ist zu diesem Zeitpunkt nur noch eine verschwommene Erinnerung in Connies furioser One-Man-Show – und nicht zuletzt auch Pattinsons. Um Nick zu retten, muss Connie aus seinem Leben verschwinden. „Good Time“ bietet mit seinen bescheidenen Mitteln alles auf, um Connie an den Rand der Nacht zu verstoßen.

In 8 Berliner Kinos, (alle OmU)

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