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Kultur: Raumschiff Berlin

Es gibt Gebäude, die sind so vielgestaltig, dass sie den Rahmen einer Architekturkritik zu sprengen drohen. Zum Beispiel das Jakob-Kaiser-Haus (JKH) in der Dorotheenstraße in Mitte: Schon der Name des Gebäudes ist ein Stolperstein.

Es gibt Gebäude, die sind so vielgestaltig, dass sie den Rahmen einer Architekturkritik zu sprengen drohen. Zum Beispiel das Jakob-Kaiser-Haus (JKH) in der Dorotheenstraße in Mitte: Schon der Name des Gebäudes ist ein Stolperstein. Denn der gewaltige Büro- und Verwaltungskomplex hinter dem Reichstag, der den Namen des CDU-Mitbegründers Jakob Kaiser (1888-1961) trägt, ist nichts weniger als ein Haus im traditionellen Sinn. Er ist eine komplexe architektonische Megastruktur, die sich zwischen Wilhelm- und Ebertstraße ausbreitet. Im Umzugsjargon des Bundes trug das JKH noch den beredten Namen "Dorotheenblöcke". Der half immerhin, den Ort dieser Bundestagsbüros in Mitte zu vermuten - und nicht etwa am unwirtlichen Jakob-Kaiser-Platz.

Zudem traf der Plural "Blöcke" auch den Charakter des Komplexes, der sich aus acht Neubauten zusammensetzt. Hinzu kommen zwei Altbauten: Die ehemalige "Kammer der Technik" an der Kreuzung zur Ebertstraße sowie die Dorotheenstraße 105, das älteste Haus des Ensembles. Es wurde um 1850 als Wohnhaus nach Entwurf Friedrich Adlers errichtet und reicht damit bis zur Erstbebauung dieses Abschnitts der Dorotheenstraße zurück. Heute sind beide Altbauten als glänzende Erinnerungsperlen in das Blockensemble eingewoben.

Vier Architekturbüros waren für das Mammutprojekt JKH zuständig: Schweger Architekten (Hamburg), Busmann und Haberer (Köln), von Gerkan Marg und Partner (gmp, Hamburg) sowie de Architekten Cie. (Amsterdam). Zusammen mit dem angrenzenden Reichstagspräsidentenpalais, das Thomas van den Valentyn (Köln) für die Parlamentarische Gesellschaft stilvoll hergerichtet hat, wurden die Einzelgebäude unterirdisch miteinander vernetzt und an den Reichstag angebunden. Aber auch oberirdisch können die Partei-Fraktionsspitzen durch die Häuser des JKH wandeln, ohne die Straße betreten zu müssen. Dafür sorgt eine größtenteils verglaste Halle, die die Bauten auf der Spreeseite miteinander verbindet. Zwei Brücken über der Dorotheenstraße ermöglichen zudem den wettergeschützten Wechsel der Straßenseite.

Soviel Autarkie erinnert an das Bild vom Raumschiff Bonn aus den achtziger Jahren. Nun hat mit dem JKH die nächste Generation dieser Intergalaktischen-Bundes-Raumstation in Berlin angedockt. Dabei bietet das JKH die typische Berliner Mischung auf gehobenem Niveau. Bewusst ruft die moderne Verwaltungs-Megastruktur Erinnerungen an die ursprüngliche Parzellenbauweise wach. Die unterschiedlichen Architektenhandschriften sorgen dafür, dass trotz Vernetzung eine abwechslungsreiche Häuserzeile entsteht.

Schräg gegenüber dem Ostportal des Reichstags machen die Bauteile von Peter Schweger und de Architekten Cie. den Auftakt. Die mit grünen Farbpigmenten versetzte Sichtbetonfassade aus dem Büro Schweger überzeugt durch ihre ruhige Gestaltung. Horizontale Gesimse suchen ohne Anbiederung die Anbindung an das Reichstagspräsidentenpalais. Fensterprofile aus Baubronze verleihen dem Gebäude eine noble Note. Hier, in der Dorotheenstraße 100, befindet sich auch der Haupteingang zum JKH. Den Besucher empfängt eine haushohe Halle. Während die mit hellem Birkenholz verkleidete Innenfassade sich an der einen Seite nur mit Bürofenstern zur Halle öffnet, befinden sich auf der anderen Seite Galerien, die zu den Büros führen. Eine Art "Himmelsleiter" mit Metallgeländer führt bis ins fünfte Geschoss empor.

In verwandter Form finden sich solche Himmelsleitern als wiederkehrendes Element auch in den anderen Bauteilen. De Architekten Cie. aus den Niederlanden mussten vis-à-vis des Bauteils von Schweger die ehemalige Kammer der Technik in ihren Neubau einbeziehen und zudem an der Ebertstraße den Übergang zum "Palais am Pariser Platz" bewerkstelligen. Eine gläserne Haut aus punktgehaltenen Scheiben, die dem Gebäude an der Dorotheenstraße vorgeblendet wurde, weist pfeilartig auf den Altbau hin. Dessen neues Dach nimmt die expressive Geste auf. Hinter der Glashaut verbirgt sich eine geometrische Fassade mit hellem Natursteinraster, das - Renzo Piano lässt grüßen - mit gelb-roten Terracotta-Elementen aufgefüllt wurde. Davon heben sich die silbrigen Aluminiumfenster ab. Leider wurde die geplante Holzverkleidung wegen des Brandschutzes zugunsten der Terracottaelemente verworfen.

Holzpaneele zeigt dafür der Innenhof, der die Rückseite der Kammer der Technik einbindet. Hier ist zudem eine repräsentative Treppenanlage entstanden, aus der ein Konferenzraum in modischer Tropfenform entwächst. Beiderseits der Dorotheenstraße schließen sich die Bauteile von Busmann und Haberer an. Dabei musste im südlichen Straßenabschnitt der Altbau Dorotheenstraße 105 mit einbezogen werden. Die grün schimmernde Glasverkleidung der Neubaufassade schafft mit ihrer Kleinteiligkeit einen deutlichen Kontrast zum Altbau. Im Inneren überzeugt das Gebäude von Busmann und Haberer durch seine raue Strenge. Viel Sichtbeton an Wänden und Decken, dazu ausgewählte Farbe, vor allem Orange, auch als buntes Kontrastmittel an den Rückwänden der gläsernen Aufzüge. Die teils offen verlaufenden Sprinklerleitungen besitzen eine industrielle Note und heben sich von der gediegenen Büronutzung ab.

Diese stringente Raumgestaltung setzt sich auch in der Kantine, der Cafeteria mit ihrem Beton-Tresen sowie in dem großen Konferenzraum zur Spree fort. Zwischen wild-romantischen Kiefern, die aus einer Bruchsteinlandschaft emporwachsen, geht man auf der Spreeseite am Entwurf der Landschaftsarchitekten WES und Partner (Hinnerk Wehberg, Gundolf Eppinger, Wieland Schmidtke und Partner) vorbei wie durch einen Urlaubsdschungel zu den beiden Kopfbauten des JKH an der Wilhelmstraße, die den Bürokomplex beschließen.

Die beiden von gmp entworfenen Gebäude bilden den öffentlichsten Bereich des JKH. Hier haben sich im Erdgeschoss bereits Läden angesiedelt. Die graue Natursteinfassade der beiden Bauten holt mit ihren dunklen Fensterlamellen aus Holz einen südlichen wirkenden Akzent nach Berlin-Mitte. Die Offenheit, die die Fassade verspricht, kann das Haus freilich nicht halten: Dem stehen die - seit dem 11. September noch verschärften - strengen Sicherheitskontrollen des Bundestags entgegen. Das Raumschiff schirmt sich ab.

Jürgen Tietz

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