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Kultur: Raus aus dem Ghetto

Das schwarze Kino erobert den Markt. Ein Wendepunkt in Hollywood?

Ein schwarzer Zuhälter aus Memphis erfährt im Gefängnis, dass sein im Wohnzimmer produzierter Song „It’s hard out there for a pimp“ von allen lokalen Radiosendern gespielt wird. Die Schlussszene des HipHop-Films „Hustle and Flow“, der nächste Woche in Deutschland anläuft, ist eine Allegorie auf die Situation der Schwarzen in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Denn schwarze Kultur ist in den USA gefragt, seitdem es Entertainment gibt. An der sozialen und wirtschaftlichen Situation der Schwarzen als Minderheit hat das jedoch wenig geändert. Spike Lee, der die wirtschaftliche und künstlerische Kontrolle über seine Filme behalten hat und sie dafür nutzt, auf die Situation der Schwarzen in den Ghettos aufmerksam zu machen, ist bis heute die Ausnahme geblieben.

Jedenfalls stimmte das bis zum Beginn des Kinojahres 2005. Schon jetzt wird dieses Jahr etwa in der „New York Times“ als „Wendepunkt in Hollywoods langer, problematischer Geschichte des Ringens mit dem Rassenproblem“ gefeiert. Es begann damit, dass im Februar zwei schwarze Schauspieler Oscars erhielten: Jamie Foxx für „Ray“ und Morgan Freeman für „Million Dollar Baby“. Die Comic-Verfilmung „Fantastic Four“ des schwarzen Regisseurs Tim Story spielte in den ersten Wochen 198 Millionen Dollar ein. Derzeit ist Regisseur John Singleton gleich mit zwei Filmen am Start: mit dem Action-Krimi „Four Brothers“, der im Schwarzenghetto von Detroit spielt und am Donnerstag hierzulande in die Kinos kommt; und eben mit „Hustle and Flow“, den er mit eigenem Geld produzierte. In Amerika hat er immerhin 20 Millionen Dollar eingespielt.

Der Aufstieg von John Singleton zum unabhängigen Produzenten wird als Hoffnung dafür gewertet, dass es einen Markt für Filme von Schwarzen für Schwarze gibt. Zunächst wollte Hollywood von der Story über einen schwarzen Zuhälter, der Rapper werden will, nichts wissen. Regisseur Chris Brewer und Produzentin Stephanie Allain putzten zwei Jahre lang vergeblich die Studio-Klinken. Einen Zuhälter zu einer positiven Identifikationsfigur zu machen – das war Hollywood zu heikel.

John Singleton hingegen verstand, dass der Film für die schwarze Unterschicht Identifikations- und Handlungsmodelle anbietet. Er wusste, dass der Zuhälter in der schwarzen Subkultur eine Ikone ist. „Im schwarzen Ghetto wird der Pimp bewundert. Er ist unabhängig. Er hat Geld. Er hat Frauen“, erklärt der Filmwissenschaftler Jesse Rhines, Autor des Buchs „Black Film/White Money“, eine Ikonologie des Pimps. Deshalb finanzierte Singleton den Film mit drei Millionen Dollar aus eigener Tasche – Geld aus seinem Blockbuster „2 Fast 2 Furious“. Der Film gewann den Publikumspreis beim Sundance-Festival und war hinter „Mr. and Mrs. Smith“ und „Star Wars“ einer der erfolgreicheren US-Produktionen in diesem Sommer.

Die Euphorie über diese Entwicklungen hält sich indes in Grenzen. Bei aller Freude darüber, dass Singleton in seine Fußstapfen tritt, empört sich etwa Spike Lee darüber, dass „Hustle and Flow“ nicht im Studiosystem produziert werden konnte: „Es gibt nicht einen einzigen Schwarzen in Hollywood, der in der Lage wäre, über die Realisierung eines Filmprojekts zu entscheiden. Der Tag, an dem das passiert, wird ein Meilenstein sein.“ Jesse Rhines sieht das ähnlich. „Die Oscars für Schwarze haben nicht dazu geführt, dass Schwarze mehr Rollen in Hollywood bekommen. Wenn Halle Barry und Queen Latifah ihre Filme gemacht haben, sind gerade noch eine Hand voll Rollen für Nicht-Weiße übrig, für die sich Scharen von schwarzen, hispanischen und asiatischen Schauspielerinnen gegenseitig die Augen auskratzen.“

Rhines vergleicht die Gegenwart des schwarzen Films mit der „Blaxploitation“-Epoche der siebziger Jahre. Die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger hatte die Filmbranche für schwarze Regisseure und Schauspieler zugänglich gemacht. Gordon Parks und Melvin Van Peebles drehten Filme, die einerseits das schwarze Publikum bedienten, indem sie rebellische Figuren zeigten, die sich gegen die bestehenden Machtverhältnisse auflehnen. Andererseits reproduzierten sie jedoch Klischees von Schwarzen, wie etwa in der Figur des sexuell hyperaktiven Polizisten Shaft. Die Häufung dieser Klischees, die nicht zuletzt auch den Voyeurismus des weißen Publikums befriedigte, führte zur Bildung des Begriffs Blaxploitation. Er bezeichnet jene Ausbeutung, die Millioneneinnahmen in die Taschen der weißen Financiers spülte.

Damals wie heute profitiert der schwarze Film von einer HollywoodKrise. In den Siebzigern öffnete der Trend zum Blockbuster und der damit verbundene Rückgang der Gesamtzahl der Produktionen eine Marktnische für Low-Budget-Filme, die auf ein spezielles Marktsegment zugeschnitten waren – etwa für die Schwarzen. Ähnliches führte zu Beginn der Neunziger zur zweiten großen Welle des Independent Kinos, die auch Spike Lee hervorbrachte. Auch heute haben die Blockbuster es schwer – und die Studios versuchen es erneut mit kleineren, ambitionierten Filmen für spezielle Märkte.

John Singleton verdankt diesem Muster sein Debüt von 1991: Columbia gab dem damals 23-Jährigen acht Millionen, um den Ghetto-Film „Boyz’n The Hood“ zu drehen. Er spielte 60 Millionen ein. „Hustle and Flow“ wurde jetzt von Paramount Classics gekauft und vertrieben. Dass die derzeitige Situation der Blaxploitation-Epoche ähnelt, ist Singleton wohl bewusst – beziehen sich seine Werke doch auf diese Ära. 2000 legte er den Blaxploitation-Klassiker „Shaft“ neu auf.

Das Drehbuch zu „Four Brothers“ ist an den John-Ford-Western „The Sons of Katie Elder“ angelehnt; gleichzeitig reproduziert er jene schwarze Coolness der Gewalt, für die der Blaxploitation-Klassiker „Trouble Man“ (1972) Maßstäbe setzte. Auch die vier Brüder bleiben ihrer Herkunft treu: Erst brechen sie in Western-Manier die Gewaltherrschaft eines Bösewichts über Detroit; am Ende bauen sie dort, wo sie aufgewachsen sind, ein neues Heim. Man kann das durchaus als Programm lesen.

„Four Brothers“ startet morgen in 12 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center. „Hustle and Flow“ startet am 17.11.

Sebastian Moll

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