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Restaurierung: Der Fraß der Zeit

Das Ringen um die antiken Exponate: Das Alte Museum demonstriert die Tücken der Restaurierung - und macht damit die Experten zu ebenbürtigen Exponaten.

So ganz unangefochten bleibt Nofretetes Alleinherrscherinnenanspruch in dieser Schau nicht. Trotz zahlreicher Exponate zum Thema „Restaurierung archäologischer Schätze an den Staatlichen Museen zu Berlin“ werden die Experten selbst ins Rampenlicht gerückt. Die Konservierungswissenschaftler des Rathgen-Instituts sind mitsamt ihren Mikroskopen und Spektrometern sogar Teil der Präsentation. Die stillen Stars werkeln in einem gläsernen Labor, in einer Vitrine für die Wissenschaft in der Ausstellung „kulturGUT erhalten“ im Alten Museum.

Seit Friedrich Rathgen vor 120 Jahren das Chemische Laboratorium an den Königlichen Museen gründete, haben die Konservierungswissenschaften ihre Methoden verfeinert und die Restauratoren ihre Konzepte differenziert. Keine Wiederherstellung um jeden Preis, lautet heute ihre Losung. Da kann es passieren, dass ein etruskisches Terrakottarelief „entrestauriert“ werden muss. Im 19. Jahrhundert draufgesetzte Köpfe aus anderen Grabungen werden wieder abgenommen. Der Torso zählt mehr als die Chimäre der Ganzheit. Auch David Chipperfields Sanierung des Neuen Museums nebenan zeugt von einer Wiederbelebungsphilosophie, die den Kontrast zwischen Überliefertem und Ergänztem verdeutlicht. Zeitschichten sollen transparent bleiben.

Die Ausstellung im Alten Museum konzentriert sich nun auf den Umgang mit archäologischen Objekten. Das sind jene Kulturgüter, die sich durch die Lagerung im Boden oder im Wasser verändert haben. Im Fall einer aus dem Mittelmeer gefischten Amphore mit Korallenfrisur hat die Natur selbst ein „originelles“ Dekor erfunden.

Bereits die Ausgrabung setzt den Objekten meist zu. Selbst in der Obhut einer Sammlung sind die Opferschalen, Gewänder oder Handschriften nicht immer sicher, wie zum Beispiel Brandschäden aus dem Zweiten Weltkrieg an bronzenen Kämpferstatuetten zeigen. Auch die Krieger wollen ihren Frieden.

Marmor, Bein und Silber bricht. Holz wird von Braunfäule und Termiten angefressen. Jedes Museum ringt auf seine Weise um Exponate und Materialien. Neun der sechzehn Staatlichen Museen präsentieren insgesamt 75 Einzelprojekte: eine Fülle, die streckenweise zulasten einer nachvollziehbaren Gliederung geht.

Um einen Zusammenhang zwischen der Textilproduktion im alten Peru mit der Problematik eines teilrestaurierten Inka-Hemdes aus Baumwolle, Pelz und Federn herzustellen, muss der Besucher zwei Säle durchqueren. Auch die Demonstrationen mit der konservatorisch so bedeutsamen Schutzgasatmosphäre – assyrische Bleifunde unter der Argon- Glocke, ein Steinbockkopf in der Klimavitrine – wabern nebulös mal hier, mal da durch die Ausstellung. Ansonsten erweist sich die Schau als benutzerfreundlich. Eine „Berührungsvitrine“ erlaubt das Ertasten fragiler Materialien, womit das tägliche Hantieren mit den Objekten erfahrbar wird.

Im letzten Raum stellt der – offenbar durchweg weibliche – Nachwuchs der Restauratorenzunft Diplomprojekte vor. Auch die Studentinnen sind bereits vielfach mit Objekten konfrontiert, die sich als Kopien oder Fälschungen herausstellen. So ist die „ägyptische Totenbahre“ ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Kunstwerk im Verlauf seiner Restaurierung in Verruf geraten kann. Wie ein mit Hieroglyphen bemaltes und auf Löwenfüße gestelltes Kinderbett sieht das Schnitzobjekt aus. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Zwitter aus altägyptischen und neuzeitlichen Elementen. Das endgültige Urteil steht noch aus.

Über jeden Zweifel erhaben thront Nofretete in ihrer Vitrine, flankiert von anderen Amarna-Funden. Bald zieht sie innerhalb der Museumsinsel ins Neue Museum um, ab Oktober hält die Dame ohne Unterleib dort Hof. Weiter reisen darf sie nicht – sie musste nie grundlegend restauriert werden, nur jüngst zur Röntgenuntersuchung. Und das soll so bleiben. Nun behaupten ja viele gealterte Stars, sie hätten ohne Facelifting durchgehalten. Nofretete hat es schriftlich. Jens Hinrichsen

Altes Museum, Bodestraße 1–3, bis 1. Juni, Mo.–So. 10–18 Uhr, Do. 10–22 Uhr

Jens Hinrichsen

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