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Szene aus Stefan Herheims "Rheingold"

© Bernd Uhlig/Deutsche Oper

"Rheingold" in der Deutschen Oper: Am Anfang war ein Flügel

Die Deutsche Oper liefert mit „Rheingold“ in der Regie von Stefan Herheim den Auftakt von Wagners „Ring“ nach.

Erwartungen sind tückisch, selbst wenn sie, vermeintlich entspannt, Vorfreude genannt werden. Doch wer stürzt sich schon in einen neuen „Ring“-Zyklus, der ohne Pausen und Anreise 16 Stunden Lebenszeit verschlingt, ohne den zarten Anfangsverdacht, dass Wagners Welttheater noch immer Welten gebären könne.

Dabei wäre man mit Dantes Ermahnung, beim Übertreten der Theaterschwelle alle Hoffnungen fahren zu lassen, weit besser beraten.

An der Deutschen Oper hat es das Team um Regiestar Stefan Herheim selbst in die Hand genommen, die Erwartungen an den Nachfolger des legendären Götz-Friedrich-Rings herunterzuschrauben.

Pandemiebedingte Schließungen führten dazu, dass mit der „Walküre“ im vergangenen September zunächst Teil zwei der Wagner-Saga eine recht verhaltene Premiere feierte. Der Sicherheitsabstand zur Inspiration, den die Deutsche Oper an diesem Abend einhielt, verhinderte zuverlässig das Überspringen von Begeisterung.

Nun wird mit „Das Rheingold“ der Beginn nachgeliefert und der Kern allen Übels offenbar, das zwangsläufig in die Einbahnstraße der Götterdämmerung führt. Am Anfang war ein Flügel und die Bühne wüst und leer.

Allmacht verdrängt Ohnmacht

An ihrem Himmel funkeln entblößte Batterien von Scheinwerfern wie Sterne über dem Feld. Dann schiebt sich zum den Urklängen des wogenden Wassers eine Gruppe koffertragender Menschen ins Bild, die im Angesicht des Klaviers anhalten und spontan beschließen, hier mal ein bisschen Theater zu spielen.

Ein Mann, der eine Trompete in die Höhe reckt und sich danach ein Gesicht von Clownsvergeblichkeit schminkt, scheint so etwas wie der Spielmacher zu sein.

Plötzlich schälen sich die Rheintöchter aus der Gruppe, die in unverblümter Drastik vorführen, wie feucht sie doch sind. Schnell stehen alle in Unterwäsche da, und es ist sicher traumatisch, wenn nun alle in allen denkbaren Konstellationen losvögeln und Alberich, der Mann mit der Trompete, als einziger vom Treiben ausgeschlossen sein soll.

Für die Gleichberechtigung von Zwergen auf der Opernbühne bleibt noch eine Menge zu tun. Bis es soweit ist, verdrängt die Allmacht die Ohnmacht, Alberich schmiedet sich im Flügel den mächtig-rächenden Ring und weist, mit der Trompete winkend, schon mal darauf hin, dass das Ring-Motiv unheilvoll mit dem der neuen Götterburg Walhall verschlungen ist.

Stefan Herheims Versuche, sich mit dem „Ring“ einen Raum für Fantasien zu erobern, wirken seltsam zusammengefummelt zwischen behaupteter Naivität und einer Bildungshuberei, die aber bitte unbedingt verstanden werden soll.

2020 lief "Rheingold" auf dem Parkdeck

Kurz vor der Premiere gab der norwegische Regisseur zu Protokoll, dass man an der Deutschen Oper zusammengekommen wäre, um den Tod der Kunstform Oper zu feiern. Die Gesellschaft wolle Inhalte auf dieser Ebene weniger und weniger kommunizieren.

Diese Sicht motiviert nicht unbedingt dazu, dem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen. Auch die Programmheftbeiträge erinnern auf beinahe groteske Weise daran, dass hier seit vielen Jahren ein Team um sich kreist, ohne seine Vorstellungen auch vermitteln zu wollen.

Vor genau einem Jahr spielte die Deutsche Oper ein „Rheingold“ auf ihrem Parkdeck, einen Notbehelf in reduzierter Orchesterstärke, Musikchef Donald Runnicles dirigierte trotzdem. Herheim aber nutzte diese Gelegenheit nicht, um in die Werkstatt seines Theaters einzuladen, das Haus beauftragte einen Assistenten damit, den Abend irgendwie zu choreografieren.

Die Bismarckstraße ist nicht Bayreuth, aber die „Ring“-Nachfolge ist seit sagenhaften neun Jahren ein Kernthema der Intendanz von Dietmar Schwarz. Um diesen Kern herum ist wenig angewachsen, die Chance, einen wahren „Berliner Ring“ zu schmieden, bevor dann Daniel Barenboim die Geschichte noch einmal an der Staatsoper ausrollen wird, scheint vertan.

Dass „Das Rheingold“ dennoch weniger ermüdend wirkt als „Die Walküre“ liegt naturgemäß am Tonfall dieses „Vorabends zum Bühnenfestspiel“, der die Komödie nicht scheut, aber auch am Ensemble der Deutschen Oper.

Während die aufgetürmten Kofferberge unweigerlich zu Assoziationen führen, die jede Fantasie verbieten (es wird auch mit gerecktem Arm marschiert) und die Bühnenarbeiter sich in Herheims vermeintlich elementaren Tuchkonstruktionen verstricken, gelingt es den Sängerinnen und Sängern immer wieder, sich zu befreien.

Im Oktober naht die "Götterdämmerung"

Markus Brück wird zum Schlussapplaus zu recht als Letzter auf die Bühne geholt, weil er diesen Abend die erste Rolle gespielt hat. Sein Alberich durchbebt Verzweiflung und Angst, und man bekommt das Gefühl, dass er diese Rolle noch einmal auf sich nimmt, damit das Spiel dieses Mal vielleicht anders ausgehen kann.

Dieser Alberich verkörpert die weitaus fesselndere Kehrseite Wotans, den Derek Welton mit einem Hang zur Erschlaffung ausstattet, der erst weicht, als Gottvater sich entkleidet, um zeugungswillig zu Urmutter Erda (souverän: Judit Kutasi) in den Souffleusenkasten zu steigen.

Auch Annika Schlichts Gottgemahlin Fricka gehört unbedingt zu den Aktivposten, fordernd und zugleich benommen von der eigenen Rolle als Hüterin der Moral. Jacquelyn Stucker taumelt als Göttin der Liebe und Jugend von Arm zu Arm, das Rheintöchter-Trio von Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker tummelt sich mit hörbarer Lust im großen Fluss.

An Gustav Gründgens‘ Mephisto erinnert die Gestalt von Loge, dem Thomas Blondelle als Gegengift zu dieser Last ein paar betont leichtsinnige Stimmparcours verpasst.

Donald Runnicles hat sein Dirigat gegenüber der „Walküre“ zu einem kontemplativen Wagner-Stil weiterentwickelt, der keine echten Aufgeregtheiten mehr kennt. Die Nähe zu seinem singenden Ensemble ist stärker, die Durchformung des Musikdramas dagegen flacher geworden.

Im Oktober naht die „Götterdämmerung“, im November der erste Zyklus, bei dem schließlich auch „Siegfried“ zu sehen sein wird. Die Welt wird dann wieder eine andere sein. Ob es Stefan Herheim gelingt, mit ihr zu kommunizieren, wissen die dramaturgischen Nornen der Bismarckstraße allein. Vielleicht kommt sein koketter Abgesang auf die Oper ja doch zu früh.  

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