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Literaturkritiker Denis Scheck, 53.

© Oliver Schmauch

Richard David Precht, Madeleine Albright, Otto Waalkes: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Der Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, diesmal Sachbuch. Am 2. September kehrt seine ARD-Sendung „Druckfrisch“ aus der Sommerpause zurück.

10) Yuval Noah Harari: Homo Deus (Deutsch von Andreas Wirthensohn, C. H. Beck, 576 S., 24,95 €)

Die Erfindung der Religionen durch den Menschen in einem Akt der Selbstermächtigung führte zur Herrschaft des Homo Sapiens. Das muss nicht so bleiben. Was wird aus uns, wenn wir über die neue Leitreligion des „Dataismus“ eine gottgleiche Spezies von Menschmaschinen schaffen? Ein großmäuliges, aber originelles Buch, das eine schöne Art von intellektuellem Schwindel auszulösen vermag.

9) Steven Levitsky und Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben (Deutsch von Klaus-Dieter Schmidt, DVA, 320 S., 22 €)

Trump in den USA wurde möglich, weil die Führer der beiden großen Parteien ihre Verantwortung als Hüter der Demokratie zugunsten parteipolitischer Vorteile vernachlässigten. Nicht innere oder äußere Kriege machen Demokratien den Garaus, so die These der Harvard-Professoren, sondern gewählte Demagogen. Die Entwicklung in der Türkei, Ungarn und Polen scheinen ihnen recht zu geben, aber die Beispiele ihrer Studie stammen überwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa und aus Lateinamerika. Eine aufrüttelnde Lektüre.

8) Peter Hahne: Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen! (Bastei Lübbe, 128 Seiten, 10 €)

Ein niederschmetterndes Beispiel für jenen Stammtischpopulismus, der die Pest im politischen Denken des 21. Jahrhunderts ist. „Wo bleiben die Video-Überwachungsanlagen, die europäische Datenbank für alle Gefährder und potentiellen Attentäter, Handyüberwachung und -auswertung, warum können sich IS-Terroristen wegen unserer lächerlich niedrigen Strafen ins Fäustchen lachen?“, fragt Hahne. Noch immer gilt für Deutschland Brechts Erkenntnis: Die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

7) Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume (Ludwig, 224 S., 19,99 €)

„Glaube mir, denn ich habe es erfahren, du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern.“ Der Ratschlag, den Bernhard von Clairveaux vor fast tausend Jahren gab, gilt auch heute. Ideal erscheint mir eine Mischung aus beidem: ein Waldspaziergang, nachdem man diese kurzweilige Fundgrube des Wissens über Bäume aus der Feder des studierten Forstwirts und abtrünnigen Beamten der Landesforstverwaltung gelesen hat.

6) James Comey: Größer als das Amt (Deutsch von Pieke Biermann, Werner Schmitz, Karl Heinz Silber, Henriette Zeltner, Droemer Knaur, 384 S., 19,99 €)

Der von Trump aus dem Amt entfernte FBI-Direktor James Comey liefert Innenansichten vom Wirken eines Elefanten im Porzellanladen: „Er redet mit hundertachtzig Sachen, er lässt nicht die kleinste Lücke, in der jemand zu Wort kommen könnte. Wie leicht dieses Schweigen alle im Raum zu Mitverschwörern bei Trumps beliebten Faktenkonstruktionen oder Wahnideen machen konnte...“ Doch hat Comey keine billige Polemik gegen Trump geschrieben, sondern die Summe seines Werdegangs als Jurist, der ihn zum Chef des Inlandsgeheimdienstes machte.

5) Madeleine Albright: Faschismus (Deutsch von Bernhard Jenndricke u. Thomas Wollermann, DuMont, 320 S., 24 €)

Für die ehemalige amerikanische Außenministerin unter Bill Clinton ist der Faschismus keine abgeschlossene historische Epoche, sondern eine in ihrer Latenz jederzeit wieder aktuell werdende politische Möglichkeit. Das macht ihr Buch, ausdrücklich als „Warnung“ konzipiert, hochwillkommen: „Was eine Bewegung faschistisch macht, ist nicht die Ideologie, sondern die Bereitschaft, alles zu tun, was nötig ist – einschließlich Gewaltanwendung und der Missachtung der Rechte anderer – um sich durchzusetzen und Gehorsam zu verschaffen.“ Albright, geboren 1937 in Prag, hat ein kluges Buch über populistische Strömungen weltweit geschrieben und erinnert in dunklen Tagen an ein besseres Amerika.

4) Otto Waalkes: Kleinhirn an alle (Heyne, 416 S., 22 €)

Hermann Melvilles Schreiber Bartleby ist unsterblich geworden durch seinen Satz: „I prefer not to – Ich möchte lieber nicht“. Der Komiker Otto hat in einer Zeit, in der alles auf Effizienz und die Steigerung des Bruttosozialprodukts ausgerichtet war, die Bundesrepublik durch seinen Nonsens erlöst. In dieser einsichtsreichen Autobiografie denkt er darüber nach, wie ihm das gelang, und vermittelt spannende Einblicke ins Wesen der Komik.

3) Christopher Schacht: Mit 50 Euro um die Welt (Adeo, 304 S., 20 €)

45 Länder, über 100 000 Kilometer, 1512 Tage: Nach dem Abitur beschließt Christopher Schacht, nicht aufs große Los zu warten, sondern einfach auf eigene Faust mit lächerlich wenig Geld loszuziehen und sich die Welt anzusehen. Ob man das wirklich jedem empfehlen kann, wage ich nicht zu beurteilen. Aber tatsächlich strahlt sein Buch so viel Optimismus und Weltvertrauen aus, dass die Mängel in der literarischen Gestaltung seiner Reise durch das beim Lesen sich unwillkürlich einstellende Gefühl echter Wanderlust fast aufgehoben werden.

2) Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker (Goldmann 288 S., 20 €)

Richard David Precht plädiert in diesem Buch für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Den Titel borgt er sich bei Marx und Engels, die in „Die deutsche Ideologie“ von der „kommunistischen Gesellschaft“ träumten, „wo jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Die Digitalisierung könnte, so Precht, solche Zustände ermöglichen – würde sie von einer sich ihrer Möglichkeiten neu bewusst werdenden Politik nur richtig an die Kandare gelegt. Ein reiches Buch, das zum Widerspruch wie zum Beifall reizt.

1) Bas Kast: Der Ernährungskompass (C. Bertelsmann, 320 S., 20 €)

Jeder, der sich dieses Buch zur Hand nimmt, wird erst mal 533 Gramm schwerer, denn so viel wiegt Kasts informatives Sachbuch, das sich auf eine Meta-Analyse aller zwischen 1950 und 2013 durchgeführten Ernährungsstudien stützt. wie viel Pfunde man nach der Lektüre verliert, hängt von der Willensstärke und Konsequenz ab, mit der man Kasts plausible Erkenntnisse für eine gesunde Ernährung in die Praxis umsetzt.

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