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Kultur: Richterin Gnadenlos

Isabelle Huppert brilliert in Claude Chabrols Polit- und Korruptionsdrama

Sie nennen sie die „Piranha“. Rote Lederhandschuhe, rote Ledertasche, roter, manchmal zu dunkler Lippenstift für das blasse Gesicht. Jeanne Charmant-Killman: der Name ist Programm. Glatt wie Stein, sagt einmal ein Betroffener, und wie schöner, glatter Marmor ist die leicht sommersprossige Haut von Isabelle Huppert. Irgendwann wird er Risse bekommen. Man muss nur abwarten.

„L’ivresse du pouvoir“, Claude Chabrols 60. Film, heißt auf Englisch: „Comedy of Power“. Und eine Komödie ist es, die der Altmeister erzählt, eine schwarze Komödie der Wirklichkeit allerdings. Der Film ist angelehnt an den Korruptionsskandal von Elf Aquitaine, auch wenn im Vorspann schön subtil steht, Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen seien, „wie man so sagt, zufällig“. Die Politaffäre rund um den französischen Erdölkonzern, der Anfang der neunziger Jahre fast die Hälfte seiner Erlöse für Waffengeschäfte, Bestechung und persönliche Bereicherung verwendete, verarbeitet Chabrol zu einem klassischen Gerichtsdrama, in dessen Zentrum die Untersuchungsrichterin steht. Doch selbst wenn man in ihr die damalige Untersuchungsrichterin Eva Joly sowie in den korrupten Konzernpräsidenten, den im Hintergrund agierenden und paktierenden Politikern und Lobbyisten nur zu deutlich Figuren der Zeitgeschichte erkennt, ist es der Logik des Films schnell gleichgültig, welcher Strippenzieher nun gerade wen verraten oder gedeckt hat. Was zählt, ist: die Erotik der Macht.

Wie verführerisch diese Macht ist, hat Jeanne Charmant-Killman längst erfahren. Ihr Büro im Pariser Justizpalast ist klein und veraltet. Doch schnell bekommt sie ein neues, modernes, elegantes, eine subtile Form der Bestechung. Die gut aussehenden Leibwächter, die ihr zum Schutz bereitgestellt werden, sind dankbare Zuschauer für ihr häusliches Ehedrama. Und die einst Mächtigen der Wirtschaftswelt, die sie sich in Handschellen vorführen lässt, sind nur zu leicht zu demütigen, zu brechen: „Rauchen verboten!“, herrscht sie sie an, und raucht dabei selbst Kette im Büro. Ja, dieses feine, unmerkliche Lächeln, als der allergiegeplagte Ex-Präsident, der mittlerweile im Gefängnis sitzt, weinend zusammenbricht: Das ist der Triumph der Macht – und höchste Grausamkeit dazu.

Eine Rolle, wie geschaffen für Isabelle Huppert. Ihr kaum merkliches Heben der Augenbraue ist pure Arroganz, die ganze Person durchsichtig und undurchdringlich zugleich. Die Mischung aus Eleganz, Überheblichkeit und Zugeknöpftheit macht Huppert sichtlich Spaß. Ja, sie ist unerträglich, dieser eiskalte Engel, der die Männer per Handy fernsteuert und gleichgültig zusieht, wie ihr Mann (Robin Renucci) daheim aus Einsamkeit vor die Hunde geht, während sie selbst mit seinem hübschen Neffen (Thomas Chabrol) flirtet und nachts im Internet recherchiert, wie viel die Reizwäsche der Geliebten des Angeklagten kostet.

Mag sein, dass es ursprünglich Gerechtigkeitssinn war, der beide antrieb, den Regisseur wie seine Hauptfigur, die Juristin aus kleinen Verhältnissen, die als Angestellte im Haus ihres späteren Mannes arbeitete. „Immer noch verdienen fast die Hälfte aller Franzosen den Mindestlohn“, hält sie dem Angeklagten vor, den sie mit Bestechungssummen im fünfstelligen Bereich konfrontiert. Doch längst ist auch Jeanne korrumpiert, durch zu viel öffentliche Aufmerksamkeit: ein Titelbild von „Paris-Match“, Radio- und Fernsehinterviews, die dienernde Aufmerksamkeit aller Beteiligten: Guten Morgen, Mme Le Juge. Frau Richterin fühlt sich als Star.

Doch das Spiel, das Jeanne spielt, ist zu hoch für sie. Wie die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc steht sie allein gegen eine Phalanx von ehrenwerten Herren in dunklen Anzügen und mit dicken Zigarren, die sich zu schwerem Rotwein in edlen Restaurants treffen, um zu beraten, wie man die Kleine zu Fall bringen kann. Die Grausamkeit, mit der sie den Hauptangeklagten Humeau (François Berleand) seines Reichtums, seines Lebens, seiner Würde beraubt, fällt bald auf sie selbst zurück, und man versteht besser, woher diese Aggression am Anfang kam.

Am Ende gewinnen die Strippenzieher, und Jeanne trifft ihr Opfer Humeau im Krankenhaus wieder. Er spricht das Urteil über sie – und spricht sie frei: „In diesem Spiel waren Sie nicht die Grausamste.“

Heute 12 Uhr und 23.30 Uhr (Urania), 20 Uhr (International)

Christina Tilmann

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