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Die Frisur sitzt. Rod Stewart.

© picture alliance / Andrew Gomber

Rod Stewart in Berlin: Zeit für einen Drink

Es läuft noch nicht ganz rund: Rod Stewart beginnt in der Mercedes-Benz-Arena eine Greatest-Hits-Tournee.

Einige Ballons im Netz unter der Hallendecke können es gar nicht erwarten. Sie platzen schon vor ihrem Auftritt zu „Da Ya Think I’m Sexy?“ und jagen Rod Stewart einen Heidenschrecken ein. Als es soweit ist, die Ballons von der Decke regnen, kommen etliche nur noch als Plastikfetzen auf den Häuptern der Fans an.
Es läuft noch nicht alles rund beim Konzert am Freitagabend in der so gut wie ausverkauften Mehrzweck-Arena am Ostbahnhof. Ein paar „cock-ups“ unterlaufen Stewart, wie er es ausdrückt. Der Sänger verpasst seinen Einsatz und kündigt einen Song von 1976 an – das Verführungslied „Tonight’s The Night“ –, um dann festzustellen, dass doch erst „Tonight I’m Yours“ drankommt, eine Dancenummer von 1981. Mit gespieltem Ärger rauft sich der 74-Jährige die immer noch vollen, natürlich ananas-artig abstehenden Haare.

Rosen ohne Dornen

Der Abend sei der Tourauftakt, entschuldigt er sich. Einen Aufwärm-Gig vor kleinerem Publikum im englischen Southend-on-Sea haben sie schon gespielt, doch so richtig geht es erst in Berlin los. Fünfzig Auftritte bis zum Jahresende führt seine Webseite auf. Dabei ist die Tour nicht nach dem Studioalbum „Blood Red Roses“ von 2018 benannt, seinem 30., sondern schlicht „Rod Stewart – Live in Concert“. Vom aktuelleren Material schafft es dann auch nur der straighte Stampfer „Look In Her Eyes“ ins Programm, ansonsten folgt ein Greatest Hit aus über fünfzig Karrierejahren auf den nächsten. Dazu „Sweet Little Rock’n’Roller“ als Tribut für den 2017 gestorbenen Chuck Berry – fertig sind zwei Stunden Kurzweil.
Stewart sieht sich in erster Linie als Entertainer. „Shit, meine Hosen scheinen geschrumpft zu sein“, kommentiert er seine Hochwasserhosen nach dem dritten Klamottenwechsel. Beim Klassiker „Stay With Me“ seiner Pubrock-Truppe Faces schießt er Fußbälle ins Publikum, die dort nicht weitergekickt, sondern einbehalten werden. Die Fans liefern sich sogar kleinere Raufereien um die Andenken, obwohl sie mit Stewart in die Jahre gekommen sind.

Raufereien um die Andenken

Der Sänger seinerseits wirbelt noch immer den Mikrofonständer um den Leib, shuffelt die Füße in den Turnschuhen und tigert etwas hüftsteif über die Bühne, die ein permanentes Effektgewitter über die Menge entlädt. Im Hintergrund, an den Seiten, oben drüber: Überall flimmert und blinkt es. Songtexte, Fußballszenen, Roy-Lichtenstein-Motive, beim Dudelsack-Schunkler „Rhythm of My Heart“ sogar Aufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg – das Auge bekommt kaum einen Moment Ruhe, um den Frontmann und seine Band zu betrachten. Sie wirken klein inmitten all des Pomps. Stewart hat sechs Musiker und sechs Musikerinnen um sich geschart. Was sich nach Gleichberechtigung anhört, ist klassisch aufgeteilt. Die zwei Gitarren, der Bass, das Saxofon, das Keyboard (silbern glitzernd), die zwei Schlagzeuge: Die Grundzutaten des Rock bleiben Männersache. Die Frauen übernehmen zwei Geigen, die Mandoline, Percussion, Backgroundgesang und Harfe (golden glitzernd). Die Männer tragen Anzüge mit pinken Jacketts, die Frauen möglichst wenig – so ein Rod-Stewart-Konzert bringt die eigene Parodie gleich mit.

Das Paradox des Sängers

Der Sound ist massiv, es dauert eine Weile, bis sich Stewarts Stimme behauptet. Erst der Mittelteil, vom Sänger als „stripped“ angekündigt, offenbart, dass sie zwar inzwischen noch angerauter klingt, aber weiter Wärme ausstrahlt. Da wird die Seefahrer-Romantik von „Every Beat of My Heart“ zum Höhepunkt der Show. Hingegeben singt Stewart seine Zeilen an die Möwen, die ihn nach Hause tragen sollen.
Darin liegt das Paradox des Sängers: Mit brüchigem Pathos in der Stimme vermag er die größte Anteilnahme zu transportieren, während er auf der Bühne über weite Strecken ausstrahlt, dass ihm die Musik eher egal ist. Als sich seine Background-Sängerinnen bei „Sailing“, dem anderen Stück Seefahrer-Romantik, in die höchsten Lagen schrauben, schaut Stewart demonstrativ auf die Uhr und bedeutet ihnen mit einer Geste: Zeit für einen Drink. Dann: „Baby Jane“, die einzige Zugabe, und Abgang.

Simon Rayß

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