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Kultur: Rodeo und Julia

Katharina Thalbachs derbe Shakespeare-Inszenierung am Maxim Gorki Theater Berlin

Von Peter Laudenbach

Romeo hat Fieber. Oder Triebstau. Oder beides. Romeo tobt über die Bühne, rennt durch den Zuschauerraum und weiß nicht wohin mit seiner überschüssigen Energie. Er steht breitbeinig in engen Lederhosen mit genitalbetonendem Aufsatz und gibt die schwitzende Karikatur dessen, was in die Jahre gekommene Berufsjugendliche für cool halten. Am liebsten aalt er sich in obszönen Posen, greift sich in den Schritt und verdreht lustig, lustig die Augen: ein Porträt des Liebhabers als eitler Kraftprotz, der Verliebte als manierierter Zappelphilipp.

Katharina Thalbach, die unglücklicherweise eine Woche vor der Premiere erkrankte (und eigentlich selbst den Mercutio spielen wollte), hat „Romeo und Julia“ am Maxim Gorki Theater als deftigen Schwank inszeniert, bei dem alle Herzensregungen aus dem Unterleib kommen und die Seufzer keinen anderen Auslöser kennen als einen überschwappenden Hormonspiegel. Das hat den Vorteil, dass Shakespeares Romanze umstandslos auf überschaubare Triebökonomie zusammenschnurrt und kompliziertere Fragen erst gar nicht auftauchen: Shakespeare-Volkstheater mit erhöhter Schenkelklopf-Frequenz. Thomas Braschs lässig kalauernde Übersetzung von Shakespeares Versen („nicht ganz dichter Dichter“) setzt, dezidiert gegen die romantisierende Schlegel-Übertragung gerichtet, auf einen plebejisch-drastischen Tonfall, dem schöne, einfache Sprachbilder gelingen, wenn er nicht schnell und viel zu häufig in plumpen Kneipenslang verfällt. „Gänse geh´n Euch nah“, verhöhnt Mercutio seinen verliebten Kumpel Romeo, der zurückkalauert „Ganz nah, Herr Schwanz“. So kann man die Verwirrungen des Herzens natürlich auch entsorgen.

Katharina Thalbach, die ihre Regie-Karriere vor anderthalb Jahrzehnten mit einer rasanten Shakespeare-Inszenierung begonnen hat („Macbeth“ in der Werkstatt des Schiller Theaters) ist erfahren in der Aufrauung, der rockigen Okkupation und sexuellen Vitalisierung von Shakespeares Stücken. Auch „Romeo und Julia“ hat sie schon einmal inszeniert, vor einem guten Jahrzehnt am Schiller Theater, in der robusten Bearbeitung Thomas Braschs unter dem Titel „Liebe Macht Tod“. Das war eine bunte Revue, die hatte, was Thalbachs neuer Inszenierung entschieden fehlt: Leichtigkeit, Spielfreude.

Davon ist am Maxim Gorki Theater so gut wie nichts übrig geblieben. Der lustvolle Versuch, in Shakespeares Stücken das Volkstheater, das Spektakel und den Blues zu entdecken ist zur leer laufenden Masche mit viel unterleibsbetontem Humor und grölenden Trinker-Scherzen geworden. Ezio Toffolutti, der schon damals am Schiller Theater eine raffinierte Bühne gebaut hat, ist auch diesmal für die Ausstattung verantwortlich. Er versetzt die Verliebten und ihre verfeindeten Clans in eine historische Stadtansicht, ein gemaltes Verona, das auf leicht wehenden Vorhängen die Bühne einrahmt. Ein großer Kasten, mal Zimmer, mal Fassade, rollt auf die leere Spielfläche; Julias Schlafgemach, das Tor zur himmlischen Glückseligkeit, vor dem Romeo schmachtend vergeht; schließlich die Gruft.

Fabian Krüger, der breitbeinigste Romeo-Darsteller der jüngeren Theatergeschichte, freut sich sehr über sich selbst. Kaum zu glauben, dass er für jemanden anderen ähnlich starke Gefühle aufbringen könnte. Hinter jeden Satz, hinter jeden Seufzer setzt er ein begeistertes Grinsen, ein breites, glücksberauschtes Lächeln, das den dampfenden Narzissmus nur schlecht als Ironie tarnt und die ganze Welt auffordert, von ihm verzaubert zu sein. Sein Rollenvorbild ist unverkennbar ein anderer Superstar: der siebzehnjährige Daniel, der in einer ähnlich subtilen Inszenierung, der RTL-Sendung „Deutschland sucht den Superstar“, davon lebt, von sich selbst sehr begeistert zu sein. Das ist lustiger Trash, aber nicht die Darstellung eines Verliebten und Verzauberten, dem in seinem Gefühlstaumel die Welt und alle Sicherheiten entgleiten.

Das wäre ein trister Abend, gäbe es da nicht diese Julia. Mag alles um sie herum schwerfällig, grob, prollig protzend agieren, sie schwebt. Sie leuchtet. Sie hat naive Poesie, ohne in den Kitsch zu gleiten, sie zeigt das verwirrende Frühlingserwachen, über das ein Fabian Krüger ahnungslos hinwegmarschiert. Heike Warmuth, eine junge, noch an der Hochschule Ernst Busch studierende Schauspielerin, ist eine hinreißende Entdeckung. Am Anfang noch das unschuldige Kind, das sich mehr für das Spiel mit dem Jojo interessiert als für die aufgeregten Reden ihrer Mutter (wie immer überzeugend: Jacqueline Macaulay), die ihr von ihrem Bräutigam vorschwärmt.

Später, als sie Romeo begegnet, wird das Kind fiebrig verzückt, aber immer behält sie ihre Leichtigkeit, eine feine Ausdifferenzierung des Spiels, berührend, klar und absolut unsentimental. Neben ihr fällt das energische Knallchargentum eines Rainer Kühn (Capulet) oder eines Pierre Besson (Bruder Lorenzo) um so schmerzhafter auf.

Wieder am 26. und 31. Januar .

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