zum Hauptinhalt

Kultur: Rohe Botschaft

Erfolg mit harten Reimen und rechten Tabubrüchen: Ein Besuch beim Plattenlabel Aggro Berlin

Das schmutzig braune Gebäude unweit der Neuköllner Sonnenallee scheint verlassen: verblasste Schilder, dreckige Fenster, keine Stimmen. Gegenüber, am Ufer des Schifffahrtskanals, türmen sich Metallschrottberge. Im Hof versteckt sich eine Autowerkstatt. Im zweiten Stock des ehemaligen Verwaltungsgebäudes, über einem Laden für Bongo-Trommler, befinden sich zwei Musikstudios: Das ist der Ort, an dem Textzeilen wie „Das ist schwarz, rot, gold / hart und stolz“ oder „Geld, Sex, Gewalt und Drogen / Ich bin geboren für das Leben ganz oben“ aufgenommen wurden. Die Zeilen stammen von Fler und Sido, zwei Künstlern des Labels Aggro Berlin.

Die Plattenfirma als „umstritten“ zu bezeichnen, wäre eine gelinde Untertreibung. „Der deutsche Hip-Hop wird immer pornografischer, gewaltverherrlichender und rassistischer“, empörte sich kürzlich die SPD-Kulturexpertin Monika Griefahn und drohte ein Sendeverbot für Aggro-Videos an. Und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzte die beiden Sampler „Ansage Nr. 2 und 3“ auf den Index. Sie dürfen nur noch an Volljährige verkauft werden.

„Der Kunst, Vorschriften zu machen oder sie zu verbieten, ist der erste Schritt in Richtung Diktatur und Faschismus.“ Specter, einer der Geschäftsführer des Labels, reagiert auf die Angriffe mit Vorwärtsverteidigung. Lässig sitzt der 30-Jährige in einer Kunstledercouch im Vorzimmer des Studios. In der linken Hand das Handy, die rechte gestikuliert, schnippt ab und zu mit dem Finger. Baggy-Jeans, klobige Turnschuhe, zwei weite T-Shirts übereinander, raspelkurze Haare. Die randlose Brille und der metallene Ring mit Specter-Schriftzug machen ihn unter den anwesenden Nachwuchs-Hip-Hoppern zum Alphatier. Zusammen mit Spaiche und Halil – bürgerliche Namen verblassen im Hip-Hop-Business – hat Specter im Jahr 2001 Aggro Berlin gegründet.

Davor hatte der Sprayer als freier Grafiker gearbeitet, Halil verkaufte in einem Laden CDs und Hip-Hop-Accessoires, Spaiche vertrieb Hip-Hop-Klamotten. „Ich wollte Projekte machen, die Bestand haben“, sagt Specter und zündet seinen erloschenen Joint erneut an. Er hatte CD-Cover von Hip-Hop-Musikern gestaltet, „die dann damit durchstarteten“. Nun wollte er endlich etwas abbekommen vom Kuchen. Und er erkannte, anders als die großen Konzerne, das musikalische Potenzial der Ghetto-Kids aus Neukölln oder „MV“, dem Märkischen Viertel. „Das sind Rohdiamanten, die nur geschliffen werden müssen, weißt du.“

Aggro Berlin kreiert unverwechselbare, greifbare Marken. Doch vehement wehrt Specter sich gegen den Vorwurf, er fertige künstliches Image für die Rapper. „Die werden nicht am Reißbrett entworfen. Der Background der Typen ist echt.“ Fler stammt nicht aus einer Einwandererfamilie. Das reicht, um ihm das Image des harten Deutschen zu verpassen. Daher die Fraktur-Schrift auf Flers CD „Neue Deutsche Welle“, die schwarz-rot-goldenen Flaggen und Adler. Sie stammen von Specter. Sidos silberne Maske ist ebenfalls eine Specter-Idee. Als Masken-Mann erhielt Sido den Newcomer-Comet 2004 und Gold für sein Album „Maske“, das sich mehr als hunderttausendmal verkaufte.

Sido war Teil der „Sekte“, der ersten Aggro-Künstler. Dass sie alle aus Berlin kommen, ist Teil der Label-Philosophie. „Nur Berliner sind so laut, so direkt“, findet Specter. Bislang veröffentlichte die Firma ausschließlich Platten von Männern, eine Rapperin haben Specter und seine Mit-Geschäftsführer noch nicht gefunden. „Gut und echt“ müsste sie sein – und das sei derzeit keine. „Eine deutsche Missy Elliot wäre der Jackpot.“ Als die Sekte sich trennte, blieben Sido und B-Tight beim Label. „Zwei, drei Jahre sind wir so rumgeschippert. Ohne Geld, ohne Aufmerksamkeit“, erinnert sich der Geschäftsführer, nimmt einen Schluck Bier-Brause-Gemisch und stopft ein Stück Pizza vom Bringdienst hinterher.

Geld, Aufmerksamkeit, Macht, Frauen – zwischen diesen schlichten Eckpfeilern bewegt sich Hip-Hop. „Ein Rapper muss sich permanent mit anderen messen, gibt immer vor, der Beste zu sein, lässt sich nie in die Rolle des Opfers drängen“, lautet Specters Variante des Sozialdarwinismus. Gleiches gilt für seine Firma: „Alle Möchtegern-Indie-Labels, mit dem Majorschwanz im Arsch, können aufhören zu bellen. Ohne uns würde es euch nicht geben“, hieß es triumphierend in einer Pressemitteilung, als im November 2004 der Sampler „Ansage Nr. 4“ auf Platz 7 der deutschen Albumcharts eingestiegen war. Das „O“ im Firmen- Logo ist das scharfkantige Blatt einer Kreissäge. Viel Feind, viel Ehr: Kritiker sehen in den Aggro-Rappern, die in ihren Texten mit Tabubrüchen spielen, schon die Vorläufer eines rassistischen „Wotan-Clans“ (Süddeutsche Zeitung).

Die Label-Macher sind Teil der Subkultur, die sie erfolgreich vermarkten. Specter ist in der Banlieue von Paris aufgewachsen. „Ich hab’ Gangstamucke gehört, lief mit ’ner Schusswaffe rum, nachdem ich zwei Mal eine Gaspistole am Kopf hatte, das war normal.“ Und weil das Auftreten und die Sprache schon immer so „normal“ waren, kommt niemand im Neuköllner Studio oder im Kreuzberger Büro auf den Gedanken, dass die harte Sprache bei Jugendlichen, die außerhalb der Hauptstadtghettos leben, Gewaltbereitschaft entfachen kann. In Aggro-Augen bilden Zeilen wie „Der Geschmack meiner Rosette schmeichelt ihrem Gaumen“ („Ghettoloch“ von Sido) oder „Ich fass ihr in den Schritt so tief / Ich fick sie mies“ („Playboy“ von Fler) lediglich die Realität der Rapper ab.

Specters Hip-Hop-Logik ist einseitig: „Im Internet oder im Fernsehen sehen die Kids weitaus schlimmere Dinge.“ Er sieht seine Künstler als „edelmütige Ritter“, die von der Gesellschaft angegriffen werden, weil sie ihr einen Spiegel vorhalten. „Rap ist für viele Jugendliche eine Alternative zum Rumlungern auf der Straße. Sie bündeln ihre Aggressionen in der Musik, die Gewalt ist nur verbal.“ In dem Neuköllner Studio hängen an diesem Nachmittag fünf, sechs Jungs ab. Weite Baseball-Shorts, schiefe Kappen, dicke Silberketten. Sie nehmen auf, probieren aus, chillen. „Für die Jungs ist das hier ihre Familie“, sagt Specter und begrüßt die Kids mit Abklatschen. Fäuste stoßen gegeneinander, angedeutete Bewegungen zwischen Umarmung und Bodycheck ersetzen einen Händedruck.

„Wir machen das, was wir gerne machen“, ist Specters Erklärung für den Erfolg. Mittlerweile arbeiten zwölf Leute bei Aggro Berlin. Die zwei Goldenen Schallplatten, die Aufmerksamkeit und der Umsatz bestätigen die Denkweise der Labelmacher. Da ist dann auch Raum für arrogantes Understatement: „Nicht wir sind so gut, sondern die anderen scheiße.“ Die Ankunft von Sido im Mainstream ebnete den Weg für mehr Musik im Aggro-Style. Mit B-Tight und Tony D. kündigt Specter für den Herbst „puristischen Rap“ an. Die Texte werden noch härter. Denn die Aufmerksamkeit, die das Label derzeit bekommt, gefällt den Machern. Nur die Indizierung gefällt Specter nicht. Nicht aus Sorge über die Inhalte der Musik oder deren Wirkung. „Dann kannst du die Dinger nicht mehr verkaufen.“ Und darum geht es bei Aggro.

Swantje Dake

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false