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Kultur: Romantisch!

Berliner Heimatfilmreihe: Regisseure suchen das Idyll

Edgar Reitz’ „Heimat“-Projekt gilt als der kinematografische Ort, der den Heimatbegriff aus dem bräunlichen Gemenge von Blut und Boden, Vertriebenentreffen und Schwarzwaldmädel-Romantik befreite. Das ureigene Genre des Heimatlichen im Kino aber ist der Dokumentarfilm. Neuerdings spürt er dem Zuhause überwiegend als Sehnsuchtsbegriff nach und erzählt in Zeiten weltweiter Migrantenströme weniger von Heimat als von Heimatlosigkeit.

So irritiert es zunächst, wenn anlässlich eines „Heimatfilm-Wochenendes“ in Berlin fünf Produktionen ausschließlich deutscher Dokumentaristen zu sehen sind, die zudem allesamt im Umfeld des ehemaligen DEFA-Dokumentarfilmstudios groß geworden sind. Das ist insofern verständlich, als die dreiteilige Reihe „Meine Heimat“, die mit Volker Koepp, Helke Misselwitz und dem Regieteam Heiner Sylvester/ Heinz Brinkmann namhafte ostdeutschen Dokumentaristen versammelt, aus dem Hause des ehemaligen ORB und jetzigen RBB stammt. Auch die jüngeren, aus dem deutschen Westen stammenden Filmemacher Alice Agneskirchner und Bernd Fischer haben ihr Filmhandwerk an der Babelsberger Filmhochschule gelernt.

Der Dachauer Bernd Fischer ist dabei mit seinen „Grüßen aus Dachau“ der einzige, der das gestörte Heimatgefühl seiner Protagonisten bewusst problematisiert. Wie ist es, Normalität zu leben an einem Ort in Bayern, der immer noch für Schrecken und nationalsozialistischen Terror steht? Auch Alice Agneskirchner ist an ihren Ursprungsort zurückgegangen: In „Wildenranna“ präsentiert sie in gewohnt sympathetisch schnörkelloser Art das gleichnamige niederbayerische Dorf und seine in der Enge ihr Glück suchenden Bewohner. „Hinter den Bergen“ (Ko-Regie: Heiner Sylvester) liegt auch Heinz Brinkmanns Heimat. Heinersdorf im Thüringer Wald war schon lange vor der DDR-Gründung ein Grenzort. Dann lag er im Sperrgebiet. Jetzt treffen die Daheimgebliebenen auf zurückkehrende frühe Vertriebene und spätere Republikflüchtige, die in München ihr Glück gemacht haben und im einstigen Zuhause ihr Zweitdomizil errichten.

Das großstädtische Gegenprogramm liefert Helke Misselwitz mit ihrem „Quartier der Illusionen“. Ihr Thema ist die reale und emotionale eigene Wohnheimat, das Viertel um den Bahnhof Friedrichstraße, der wie ein riesiges Spinnentier das Stadtbild prägt. Der Film beginnt und endet wie ein Horrorschocker: Doch dazwischen streift Misselwitz impressionistisch durch den Kiez, vorbei an Thekenstehern und Friedensdemonstranten, rheinischen Karnevalisten, betrunkenen Punks und einer russischen Akkordeonspielerin. Viel Alkohol gibt es. Und auch viel durchlichterte Nacht. Misselwitz und ihre Kamerafrau Susanne Schüle ringen dem touristisch besetzten Stadtteil eine atmosphärische Einheitlichkeit ab, die im Alltag kaum wahrzunehmen ist. „Quartier der Illusionen“ öffnet den Blick, so romantisch wie Fernzüge und nächtliche Straßenlaternen.

Volker Koepps Heimatbild wirkt dagegen höchst modern – zumindest auf den ersten Blick. Koepp, der mit seinem Ostpreußen-Film „Kalte Heimat“ 1995 den Heimatbegriff neu programmiert hat, nennt seinen Beitrag „Frankfurter Tor“. So heißt auch jene gigantische LKW-Durchlaufstation an der deutsch-polnischen Grenze, wo täglich tausende von Lastzügen unfreiwillig viele Stunden „abparken“ müssen. Nur eine, und nicht die schlimmste, vieler solcher Grenzen auf dem Weg von Rotterdam und Hamburg nach Alma-Ata und Brest. Doch auch Koepp sucht den romantischen Blick – vom Zuhause im Fahrerhäuschen bis zum Sonnenuntergang.

Hackesche Höfe, bis Sonntag, Premieren jeweils um 17.30 und 20 Uhr mit den Filmemachern. Details unter Telefon 30 87 25 10.

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