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© dpa

Rossini-Oper in Salzburg: Wer ist Täter, wer ist Opfer?

Jürgen Flimm entdeckt in Salzburg Rossinis Oper „Moise et Pharaon“ neu – als Konflikt der Kulturen.

Das Mädchen ist Israelitin, eine Nichte des Moses. Der Mann ist ägyptischer Prinz, Sohn des Pharao. Romeo und Julia zwischen den Völkern, die einander verteufeln: „Abscheuliche Rasse“ sagen die einen, „schuldige Rasse“ die anderen über den jeweiligen Feind.

Wo solcher Hass herrscht, hat die Liebe des Aménophis zu Anai keine Chance. Diese Geschichte, eine Rarität aus Gioachino Rossinis ernstem Opernschaffen, muss böse enden. Es ist der Privatkonflikt, der um der Operntauglichkeit willen in das große Thema aus dem Alten Testament eingebettet ist: Moses als Befreier der Israeliten aus ägyptischer Knechtschaft.

Jürgen Flimm, Intendant der Salzburger Festspiele und ab 2010 freigestellt für die Intendanz der Berliner Staatsoper, führt Regie. In der Auswahl der Dirigenten, mit denen er es zu tun hat, findet sich selten der Typ des schlichten Kapellmeisters. Sein – enttäuschender – Bayreuther „Ring“ stand anfangs unter der Leitung von Giuseppe Sinopoli, in Berlin sitzt Daniel Barenboim im Sattel, und hier in Salzburg inszeniert Flimm diesen Rossini, weil Riccardo Muti sich das Stück gewünscht hat. Ein Live-Mitschnitt seiner Interpretation an der Mailänder Scala 2003 liegt vor.

Die Partitur gibt dem Maestro recht. Die Musik klingt so zündend, dass die Massenszenen, in denen Hebräer und Ägypter zusammenprallen und auch die Solisten alle Register ziehen, Bravos und Szenenapplaus provozieren. Als Volksdrama gehört die Oper ganz der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, dem abendfüllend beteiligten Kollektiv, das Schmerz und Freude gemeinsam singt. Die Wiener Philharmoniker, die sich in diesem Salzburger Sommer hochgradig verausgaben, zumal im Dienst an Luigi Nonos Musiktheater (vgl. Tsp. vom 4. 8.), spielen hier groß auf. Die Dramatik trifft auf Mutis beste Eigenschaften, brillante Instrumentalsoli eingeschlossen. Nur in der Feinarbeit hapert es manchmal an diesem Vier-Stunden-Abend.

Der Stoff trägt Meilensteine der Musikgeschichte. Und er ist verschiedenen Deutungen offen. Etwa im Händel-Oratorium „Israel in Egypt“, wo die göttliche Erwählung des Volkes Israel als Sinnbild des britischen Weltreiches verstanden werden kann. Oder als philosophische Auseinandersetzung in Arnold Schönbergs „Moses und Aron“. Zumal bei diesem Sujet lässt sich Eduard Hanslicks Ansicht schwer widerlegen, dass „biblische Handlungen für das Theater unzuständig“ seien. Und doch bleibt der kritische Österreicher der Moses-Oper Rossinis geneigt, weil mehr Kraft und Ernst darin seien, als man „diesem Schmetterling unter den Componisten“ zugetraut hätte.

Im Salzburger Großen Festspielhaus wird die Pariser Fassung, also „Moise et Pharaon ou Le Passage de la Mer Rouge“ (1827) gespielt, die zunächst als Rückübersetzung ins Italienische (auch auf dem Plattenmarkt) Karriere gemacht hat. Nach der Urgestalt (Neapel 1818) verdankt sich das französische Werk, um musikalische Meisterstücke bereichert, nun drei Librettisten.

Volksdrama. Es beginnt damit, dass die gefangenen Hebräer Gott um Hilfe anflehen. Wer ist Täter, wer Opfer?, fragt Jürgen Flimm. Er erinnert sich einer Diskussion mit Daniel Barenboim über den Gazastreifen, die in schreckliche Ratlosigkeit geführt habe. Die politischen Assoziationen, die der „Moise“ eingibt, reichen vom Risorgimento bis zur Gegenwart. Und gerade die frei erfundene Liebesgeschichte steht dafür ein, Schwarz-Weiß-Malerei zu verbieten. Trotz ihrer Liebe schließt sich Anai dem Zug der Israeliten durchs Rote Meer an, nachdem sie für den liebeskrank wütenden Geliebten gebetet hat. Mit Pharao und den Ägyptern findet er seinen Tod in den wieder zusammenschlagenden Fluten. Zum Personal der Handlung aber gehören nicht zuletzt zwei Mütter mit innigen Gefühlen: Sinaide, die Frau des Pharao, und Marie, Moises Schwester. Die unmögliche Liebe der Kinder zerreißt ihnen das Herz.

Flimms Inszenierung, trefflich eingepasst seinem diesjährigen Festspielmotto „Spiel der Mächtigen“, geht ebenso wie Rossinis Musik davon aus, beiden Seiten gerecht zu werden. Denn die Opfer sind ja Täter, der Volksführer Moses ist den gewaltsamen Mitteln seines strengen Gottes hörig, der die Kinder Israel auserwählt hat. Die Ägypter indes ertragen Plagen bis zum Tod. Das Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer stellt ein Gefängnis in Form einer riesigen Glocke dar. Beide Völker (Kostüme: Birgit Hutter) dienen darin ihrem Kult, ob Gebet oder Isis-Feier. Beide versuchen, ihren Glauben schriftlich auf Tafeln zu dokumentieren, und an der Wand wird der Spruch „DU SOLLST NICHT TÖTEN“, an dem drei Maler von den Sprossen dreier Leitern aus endlos pinseln, niemals fertig.

Vor der Bühne gibt eine schwarze Trennwand große und kleine rechteckige Einblicke frei und wird so zum Passepartout, das öffentliches oder privates Geschehen zeigt, Zeremonielles oder die Not der Liebenden in ihren zarten und zornigen Zwiegesängen. Wie das unglückliche Paar am Boden hockt, wie Mutter-Tochter- und Vater-Sohn-Duette differenziert sind, das schafft Wunder der Rührung über den opernhaften Konflikt.

Zu den Ballettmusiken, den rossinigemäß heiteren, schafft Flimm den anspruchsvollsten Kontrapunkt, indem er in wandernder Schrift biblische Texte zitiert: Plagen der Insekten, Pest und Auslöschung aller Erstgeburt in Ägypten. Momentaufnahmen: Schwarze Engel entführen Kinder, die leblos vor ihren trauernden Müttern liegen. Die Chöre bewegt Flimm einleuchtend nach einer Art Slow Motion, vor und zwischen ihnen sind die Parteien klar zu unterscheiden: Moses-Familie und Pharao-Familie. Dramaturgisch bevorzugen beide Marschmotive mit gleichgesinntem Hintergrund.

Alle Solisten singen mit der Seele: besonders gefeiert die lettische Sopranistin Marina Rebeka als Anai, die ihr Leid in funkelnde Koloraturen gießt. In den Titelpartien hat Nicola Alaimo (Pharao) mehr Virtuosengold zu verschenken als Ildar Abdrazakov in der Rolle seines Gegners Moise, dessen Autorität sich eher rezitativisch äußert. Eric Cutler (Aménophis), Juan Franzisco Gatell (Éliézer, Moises Bruder), in den Mütterrollen Nino Surguladze (Sinaide) und Barbara Di Castri (Marie) tragen ein höchst motiviertes Ensemble, obwohl die Partitur eher zum durchkomponierten Drama mit pointierten Soli als zur großen Arie drängt.

Der Untergang des ägyptischen Heeres ist in diesem Konzept kein Sieg Israels, sondern ein trauriges Sterben mit der Lanze in der Hand. Denn der wankelmütige Pharao wäre ja kompromissbereit gewesen: In zarter Annäherung der Gegner gibt Flimms Inszenierung zu bedenken, dass im Pharaonenpalast immer ein Sessel für Moses frei war.

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