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Kultur: Roter Garten

Balkanisch, berlinisch: die Dichterin Irena Vrkljan

Von Caroline Fetscher

„Ich sammelte mich auf aus zerstreuten Gedanken, Gefühlen, und musste behutsam, wie ein Uhrmacher, die Teilchen prüfen, aus denen man mich zusammengesetzt hatte, einst.“ Wie die Ich-Erzählerin in Irena Vrkljans Roman „Marina im Gegenlicht“ hier ihre eigene Dekonstruktion erfasst, so scheint die Autorin sich und die Sprache zu prüfen. Wo immer sie hinsieht und sich Notizen macht, da „zerbröckelt die Eierschale des Alltags und etwas liegt offen, ein Strom.“ Vrkljans Lyrik und ihre lyrisch verdichtete Prosa wehren sich gegen das Vorgefundene, Vorgefertigte, gegen die Stereotypien, die ihr schon als Mädchen im bürgerlichen Zagreber Elternhaus unerträglich waren. Dort sprach man Deutsch und Kroatisch, doch nur bis die Nationalsozialisten kamen und das Deutsche über Nacht zur Lingua non grata wurde. Geblieben sind der 1930 in Belgrad Geborenen dennoch beide Sprachen, so wie sie heute in Berlin und Zagreb lebt.

Nach Deutschland kam Vrkljan als DAAD-Stipendiatin, studierte dann in Westberlin von 1966 bis 1969 an der Film- und Fernsehakademie, drehte Fernsehfilme und schrieb Hörspiele wie „Die Sonne des fremden Himmels“. Vieles darunter gedieh – und gedeiht – in Zusammenarbeit mit dem Berliner Autor Benno Meyer-Wehlack – und einigen virtuellen Gefährten. Vrkljan liebt Marina Zwetajewas poetische Unbedingtheit, Mark Rothkos kompromisslose Suche nach Farben, Walter Benjamins melancholische Detailtreue und Utopie.

Berühmt ist sie heute vor allem in Kroatien, wo eine ganze Generation junger Autorinnen sie als die Grande Dame der feministischen Literatur und Stifterin eines neuen Stils entdeckt hat. Aber Deutschland ist bei ihr immer präsent, etwa in „Schattenberlin. 1966 - 1989“, den „Aufzeichnungen einer Fremden“. Besonders eindrucksvoll wird ihr Schreiben, als in die deutsche Nachkriegsmetropole zu Beginn der Neunzigerjahre Berichte aus dem zerfallenden Jugoslawien dringen, wie in dem Band „Vor roter Wand. 1991 - 1993“, einem ihrer überzeugendsten Werke. Nicht am flammenden Kriegsrot, sondern an Mark Rothkos Rot orientiert sich hier die Suche nach dem Unaussprechlichen. In dieses Rot verpflanzt Vrkljan etwa den Garten ihres Großvaters in Bosnien, wo sie als Vierjährige Goldfische betrachtet hatte, in einem kleinen Teich, den der Krieg vertrocknen ließ. „Wie rotes Meer, ruhiges Bild, nach all dem Schrecken. Unter dem Venenschleier leben die rotgoldenen Fische aus dem Bassin im Garten von Capljina. Müssen nicht verenden.“

Irena Vrkljan liest heute um 20 Uhr aus „Die letzte Reise nach Wien“ im Kulturzentrum Südost Europa, Großbeerenstr. 88.

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