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Kultur: Rückblick: Kielholen (Lesung)

Stellen sie sich vor: Sie sind ein Text. Wie möchten sie behandelt werden?

Stellen sie sich vor: Sie sind ein Text. Wie möchten sie behandelt werden? Sie möchten gelesen werden, am besten vor Publikum, in angenehmer Atmosphäre. Ein Ort, an dem sich Texte wohl fühlen, ist der Fischladen in Friedrichshain. Jeden ersten Samstag im Monat lesen dort die jungen Poeten der Gruppe Visch & Ferse (wieder am 4.5., um 21 Uhr 15). Der erste Samstag im April: der weinkellerartige Raum gut gefüllt, ein Barhocker auf einer kleinen, dreieckigen Bühne, ein Piano, gespannte Erwartung. Tilman Rammstedt schlingert auf hoher See, Kurs Südsüdost, sein Text "Kielholen" liefert den Grund: "Wir haben den Kapitän über Bord geworfen, weil er uns dumm kam". Sein Text schwimmt gut auf den Klangwellen, die Bruno Franceschini am Klavier bereitet. Michael Ebmeyer gibt singend eine Hommage des "besten Arztes weit und breit" an die Frauen wieder: "Therese, Therese, mit deiner Hüftprothese im Mund bin ich heut morgen aufgewacht". Ebmeyer ist kein festes Mitglied bei "Visch & Ferse", tritt aber häufig als Gast auf. Ebenso: Sabine Kurpies, Preisträgerin beim Poetry Slam. Der Abend lebt von der Abwechslung der Formen. Die klavierbegleiteten Texte kommen leicht daher, dann wieder Prosa pur - und Lyrik von Nikola Richter über den "Weltraumkugelschreiber" und andere Dinge. Von Timo Berger erfährt man, dass manche Frauen Männer für doof halten, weil sie "im Dunkeln die Klitoris nicht finden". Florian Werner fehlt. "Visch & Ferse" pflegen einen charmant-poetischen Ton und kommen nicht so schnodderig, Ost-berlinerisch daher wie andere Lesebühnen. Vielleicht, weil alle Mitglieder dem Tübinger Studentenmillieu entstammen. "Visch & Ferse" entstand aber erst im Berliner Großstadtdschungel.

Andreas Steinbrück

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