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Kultur: Ruhe unterm Riesensegel Dem Lyriker und Kritiker

Harald Hartung zum Siebzigsten

Für Harald Hartung ist Dichten eine Herzensangelegenheit. Allerdings nicht die einzige. Denn ebenso wichtig scheint ihm die Dichtung anderer, und daher gibt es neben den eigenen Gedichten die Rezensions- sowie die Herausgeber-Tätigkeit, die Leitung des Literarischen Colloquiums von 1983 bis 1986, die Gremienarbeit in der Akademie für Sprache und Dichtung und die Literaturwissenschaft, die er bis 1998 als Professor der Technischen Universität Berlin lehrte. Hartung ist ein vielseitig Beschäftigter, und es ist wohl kein Zufall, dass sich in seinem neuen Gedichtband „Langsamer träumen“ (erschienen beim Hanser Verlag) eine kleine Fluchtfantasie findet: „Etwas (trösten englische Ärzte) / wächst noch im Alter: die Ohren / Millimeterbruchteile pro Jahr / Ach könnten wir / Philemon und Baucis / verdämmern im Schatten / faltiger Riesensegel.“

Gelassener Witz und souveräner Kenntnisreichtum sind Harald Hartungs Kennzeichen. Groß ist das lyrische Werk des Mannes nicht, der niemals für den Markt schreiben musste, und große Worte macht er auch nicht. Skeptisch und ironisch sind seine Gedichte, deren Anspielungsreichtum und formale Komplexität oft erst dem zweiten Blick auffällt – obwohl Hartung von sich behauptete: „Ich winke mit Zitaten wie mit Zaunpfählen.“ Schon „Hase und Igel“ aus dem Jahr 1970 zeigt, wie innig der eigene Alltag mit der lyrischen Tradition verwoben werden kann. Deren Echos hat Hartung auch als Herausgeber verschiedener Anthologien (zuletzt: „Jahrhundertgedächtnis“, Reclam, 1998) verfolgt.

Als er am 20. Oktober den Preis der „Frankfurter Anthologie“ erhielt, bat ihn ein kleines Mädchen um ein Autogramm. Ist das der Ruhm? Harald Hartung, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, hat in „Loerkes Tagebuch“ dem Vorgänger folgendes untergeschrieben: „Der neue Gedichtband?/ Absatz gut vierhundert Stück/die Hälfte Freistücke/Dabei so weiß das Tagebuch/der Ruhm ist ungeheuer.“

Jörg Plath

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