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Kultur: Russisch-orthodoxe Ikonenmalerei: Für die Schatten sorgt der Mensch

Ein orthodoxer Kuppelaltar in der ältesten Kirche Berlins. "Das letzte Mal habe ich diesen Altar vor 45 Jahren in Petersburg gesehen", freut sich Erzbischof Feofan, Vertreter der russischen Kirche in Deutschland.

Ein orthodoxer Kuppelaltar in der ältesten Kirche Berlins. "Das letzte Mal habe ich diesen Altar vor 45 Jahren in Petersburg gesehen", freut sich Erzbischof Feofan, Vertreter der russischen Kirche in Deutschland. "Damals studierte ich noch und seitdem ist viel passiert." Gezeigt wird der Feraponter Altar in der Nikolaikirche als Teil einer Ausstellung, die die Entwicklung der russisch-orthodoxen Kirchenmalerei vom 14. bis 17. Jahrhundert nachzeichnet.

Die frühen Fresken, die noch in gedeckten erdigen Pastelltönen gemalt wurden, unterscheiden sich deutlich von den bunten und strahlenden Ikonen der späteren Zeit. In der Fresken-Malerei wurden die pflanzlichen Farben auf den noch feuchten Mörtel der Kuppeln und Wände aufgetragen. Während sie trockneten, bildete sich eine kristalline Glasur. So entstanden auch die Zeichnungen auf dem Altar aus dem Kloster Ferapont im Norden Russlands. Das Original des Fresken-Altars stammt von Dionysios, einem der bedeutendsten Künstler des 16. Jahrhunderts. In Berlin steht eine Kopie, die in den 50er Jahren von Nikolai Gusjew, einem bekannten Restaurator angefertigt wurde. Das Original ist zwar erhalten, aber so stark verwittert, das es nicht mehr transportfähig ist.

Dionysios gilt seinerseits als einer der wichtigsten Schüler des Altmeisters Andreij Rubljow, dessen Werk, die "Dreifaltigkeit", gleich neben dem Ferapont Altar zu sehen ist. Es ist eine der wichtigsten Ikonen orthodoxer Kunst überhaupt. Fast schwebend sitzen die drei Engel um einen Tisch. Luftig und transparent sind die Farben mit denen Rubljow im Jahr 1412 die göttliche "Dreifaltigkeit" beschreibt. Helles, kühles Gelb, grün und blau fast violett statt des gewohnten schweren rot-goldenen Schimmers. Viel Licht und Leichtigkeit ist in diesem Bild, dessen abstrakte Kirchenkuppeln im Hintergrund an Chagall erinnern. Kein anderes Werk der Ikonenmalerei hat so viele Debatten und Deutungen hervorgerufen. Der Mönch Rubljow, der 1988 durch die russisch-orthodoxe Kirche heilig gesprochen wurde, erlangte Berühmtheit wegen seiner prächtigen, aus der byzantinischen Schule stammenden Farbgebung.

"Natürlich verlässt Rubljows Dreifaltigkeit als Original niemals das Land", erklärt Ludmilla Darasenko, Direktorin des Rubljow Museums in Moskau, aus dem die meisten Ikonen der Austellung stammen. Mehr als 8000 dieser Heiligenbilder hat das nach dem bedeutendsten Schöpfer ikonografischer Kunst benannte Moskauer Museum in den vergangenen 50 Jahren zusammengetragen und gesichert. Aber nicht allen Werken ist dieses Schicksal beschieden. Obwohl der Export von Ikonen verboten ist, hat Russland in den letzten zehn Jahren bis zu 90 Prozent, seines Bestandes verloren.

Nach Schätzungen der russischen Kriminalämter werden jährlich Kunstschätze im Wert von bis zu 130 Millionen Dollar gestohlen und außer Landes geschafft. Die Miliz steht den Hehlerringen meist hilflos gegenüber. In den Weiten des Landes kann sie nicht jede Kirche und jedes Dorf bewachen. Und Ikonen stehen noch immer ganz oben auf der Einkaufs-Liste der westlichen Antiquitäten- und Kunstliebhaber. Oft werden ganze Dörfer geplündert, nicht selten gibt es Tote, wenn die Priester ihre Kirchen verteidigen. Viele von ihnen haben sich bereits bewaffnet. Der Zoll macht nur Stichproben und nur selten werden die Wandverkleidungen in den Schiffskabinen oder die Deckenkonstruktionen in den Zügen geöffnet.

Wie der Specher des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden, Dirk Büchner, bestätigt, ist Berlin ein florierender Absatzmarkt für russische Kunst. Die Behörde verfügt über eine Foto-Datei in der 140 000 Kunstschätze archiviert sind, ein großer Teil davon Ikonen. Doch 1999 wurden nur 341 Ikonen auf ihre Herkunft überprüft. Ein Zeichen dafür, das die meisten der illegalen Geschäfte unerkannt bleiben und die Dunkelziffer hoch ist. Vielfach sind selbst deutsche Händler Opfer von Schutzgelderpressungen und Gewaltdelikten.

Für die Moskauer Museumsdirektorin Darasenko ist dies eines der schwärzesten Kapitel in der Geschichte ihres Landes. "Ikonen sind unsere Identität" sagt sie. Vielfach in Wohnungen versteckt oder im Garten vergraben, überdauerten sie 73 Jahre kommunistischer Herrschaft. Verehrt wurde nicht das Kunstwerk an sich, sondern seine Motive. Die Abbildung von Kirchenheiligen galt als religiöse Handlung. Und bis heute ist die Ikonenverehrung ein wichtiger Teil der orthodoxen Frömmigkeit. Es gibt auf ihnen keine Schatten, weil Gott nach orthodoxer Auffassung nur Licht in die Welt bringt. Für die Schattenseiten, das wussten wohl schon die alten Meister, würde der Mensch schon sorgen.

Susanne Tenhagen

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