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Pussy-Riot-Mitglied Jekaterina Samuzewitsch (2.v.l.) spielt bei der Gerichtsshow "Die Moskauer Prozesse" von Milo Rau Sacharow-Zentrum in Moskau. Kurz darauf unterbrachen russische Behörden das Theaterstück mit einer Razzia.

© dpa

Theaterstück über Pussy Riot: Russische Behörden unterbrechen "Moskauer Prozesse" mit Razzia

Die Künstlerinnen von Pussy Riot sitzen nach ihrem "Punk-Gebet" in einer Moskauer Kirche im Straflager. Theaterregisseur Milo Rau hat das Verfahren gegen die Band auf die Bühne geholt - und das rief die russischen Behörden auf den Schirm.

„Unschuldig“ lautet das Urteil, das abends kurz nach acht im Moskauer Sacharow-Zentrum fällt. Ginge es nach den sieben Moskauerinnen und Moskauern, die der Theaterregisseur Milo Rau für seine dreitägige Gerichtsshow „Die Moskauer Prozesse“ per Zufallsprinzip als Schöffen ausgewählt hat und die im wahren Leben Bienenzüchter, Fotografen oder Unternehmensberaterinnen sind, wäre die Punkband Pussy Riot freigesprochen worden. Die Realität sieht anders aus. Die verurteilten Künstlerinnen sitzen im Straflager, nach ihrem „Punk-Gebet“ in einer Moskauer Kathedrale.

Das Volk revidiert symbolisch das Urteil, das im August 2012 in seinem Namen „wegen Rowdytums aus religiösem Hass“ gegen die Künstlerinnen ergangen ist: ein spektakulärer Vorgang. Allerdings war es nicht dieser Urteilsspruch, der am letzten Verhandlungstag von Raus Theaterprojekt die Gemüter erhitzte. „Razzia bei Pussy-Riot-Stück in Moskau“ meldeten die internationalen Nachrichtenagenturen vielmehr. Denn tatsächlich war die dokumentarische Inszenierung, die insgesamt drei Strafprozesse der vergangenen Jahre gegen russische Künstler und Ausstellungskuratoren mit realen Angeklagten, Juristen, Kirchen- und Staatsvertretern neu aufrollte, unvermittelt von der politischen Realität eingeholt worden.

Sonntagmittag, zwölf Uhr Ortszeit. Die Richterin ruft die international bekannteste Mitwirkende des Theaterprojekts in den Zeugenstand des Gerichtssaales, den Milo Rau im Sacharow-Zentrum aufgebaut hat: das Pussy-Riot-Mitglied Jekaterina Samuzewitsch. Konzentriert, aber unaufgeregt stellt sich die junge Frau in den orangefarbenen Hosen dem Kreuzverhör von Anklage und Verteidigung. Kein leichter Job, denn der leitende Experte der Anklage Maxim Shevchenko – als Journalist des Staatsfernsehens eine Art ultrakonservative Speerspitze seiner Zunft – will, das springt ihm praktisch aus jeder Pore, unbedingt gewinnen. Allerdings ist der Mann eben nicht nur ein dezidierter Gegner des „westlichen Liberalismus“, sondern auch ein extrem cleverer Charismatiker. Rau hat die Anklage bewusst scharfsinnig besetzt; und lange sieht es tatsächlich nicht danach aus, als könnte die Verteidigung hier gewinnen.

„Was war das Motiv Ihrer Performance“, will Chewtschenko von Samuzewitsch wissen, die überraschend zurückhaltend wirkt. Sie habe auf die Verquickung von Politik und Kirche, Putin und Patriarch Kyrill in ihrem Land aufmerksam machen wollen, sagt die Pussy-Riot- Aktivistin ruhig. Und auf die Einschränkungen der Kunstfreiheit in ihrem Land. Fast aufs Stichwort tritt die Einschränkung dann tatsächlich durch die Tür des Sacharow-Zentrums: Eine Handvoll Beamter in der Uniform der russischen Migrationsbehörde will die Papiere des Regisseurs sehen.

Die Performance bringt Bewegung in unser übersichtliches Russland-Bild

Angeblich gibt es einen Durchsuchungsbeschluss für das komplette Gebäude; es geht das Gerücht, alle Ausländer im „Gerichtssaal“, darunter viele internationale Journalisten, sollten überprüft werden. In der Ferne sieht man Anna Stavitskaja, die in der Gerichtsshow die Rolle der Verteidigerin übernommen hat, umringt von einer Kameratraube auf die Beamten in den weinroten Westen einreden. Stavitskaja spielt in Raus Performance sozusagen sich selbst: Die Juristin verteidigte tatsächlich die Kuratoren der religionskritischen Ausstellungen „Achtung, Religion“ und „Verbotene Kunst“, die in Raus Performance neben dem Pussy-Riot-Prozess verhandelt werden. An Raus Papieren lässt sich kein Makel finden. Die Beamten ziehen ab; die Veranstaltung kann nach zwei Stunden fortgesetzt werden.

Die nächste betroffene Interessensgruppe, die in Raus Verhandlung einmarschiert, besteht aus einer fünfköpfigen Abordnung orthodoxer Kosaken. Draußen steht eine ganze Mannschaft nebst beeindruckendem Polizeiaufgebot. Die Veranstalter haben die kleine Kosaken- Gruppe hereingebeten, damit sie sich davon überzeugen kann, dass in der Performance keine religiösen Gefühle verletzt werden. Diesmal ist es Ankläger Maxim Chevtschenko, der deeskalierend wirkt: Es dauert keine Stunde, bis die Veranstaltung – ohne Kosaken und Polizei – fortgesetzt werden kann.

Das Gefühl, dem Geschehen stets ein Stückweit hinterherzulaufen und auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen zu sein, ist zwar angesichts der spannenden Vorgänge ärgerlich. Gleichzeitig spiegelt diese Second-Hand-Situation idealtypisch wider, was Raus großartige Performance inhaltlich bewirkt. Er wolle „Bewegung in die starren russischen Verhältnisse bringen“, hatte der Regisseur erklärt. Was er tatsächlich, zumindest für ausländische Beobachter, tut, ist eine immense Bewegung in unsere vergleichsweise übersichtlichen Russland-, Dissidenz-, und Kunst-Begriffe zu bringen.

Rau öffnet ein Diskursfeld, das auch die schockierendsten Positionen auf den Tisch packt.

Auch ohne die Mitwirkung von außen, die die Dinge natürlich noch ein paar Schraubenwindungen weiter in Richtung Vieldimensionalität dreht, produziert Rau mit dem Gerichtsshow-Format eine Komplexität sowie eine hellsichtige Überlagerung verschiedenartigster Macht- und künstlerischer Inszenierungen, die dem Theater schon lange nicht mehr gelungen ist.

Raus Casting ist entscheidend. Abgesehen davon, dass hier neben dem regimekritischen Philosophen Michail Ryklin, der Kulturtheoretikerin und Pussy- Riot-Unterstützerin Jelena Volkova oder ranghohen Vertretern der orthodoxen Kirche nicht nur prominente, sondern eben die tatsächlich diskursführenden Persönlichkeiten auf der Bühne stehen, verlaufen die Frontlinien zwischen Kunst und Religion, Staatsmacht und Dissidenz bei weitem komplexer, als der bequeme Fernblick das gern hätte.

Der mitteljunge Mann mit dem strengen Scheitel und den dunklen Stiefeln, der als Experte in Raus Zeugenstand von den „sogenannten Künstlern“ als einer von den USA gesteuerten „Sekte“ und von „liberalem Faschismus“ spricht, ist der russische Künstler des Jahres 2008, der Kandinsky-Preisträger Alexej Beljajew- Gintovt, einst Mitglied der neo-faschistischen Jugendorganisation der „Eurasier“ und bis heute Beschwörer einer stalinistischen Zukunft. Im Gegenzug verortet der wuschelköpfige Kandinsky-Preisträger von 2007, Anatoli Osmolowski, die Pussy-Riot-Aktion unaufgeregt im zeitgenössischen Aktionismus.

Die rhetorischen Strategien, das zähe Ringen um die „Intentionalität“ der Kunst, die gern mal umstandslos mit dem Künstler gleichgesetzt wird, die gezielte Instrumentalisierung der sowjetischen Vergangenheit und schließlich unverhohlen ultranationalistisches Phrasendreschen à la „Gott, Familie, Mutterland und Ehre“, all das ist extrem erhellend. Was Rau, in den „Moskauer Prozessen“, die demnächst in einer Filmfassung ins deutsche Kino kommen, unter schwierigen Umständen schafft, ist tatsächlich ein Diskursfeld, das auch die schockierendsten und aberwitzigsten Positionen offen auf den Tisch packt.

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