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Kultur: Salto vitale

Vorwärts in die Vergangenheit: Buchverlage entdecken den Retro-Look

Die „ganz persönlichen Bücher“, die man vor drei, vier Jahren bestellen konnte, sahen zum Grausen aus. Der Umschlag wirkte verunglückt, die Seiten wackelten in der Klebung, und der Text rutschte rauf und runter. Rechtschreibung und Interpunktion sahen sehr persönlich aus, wenn auch nicht von einem selbst. Immerhin: Vorn im Buch prangte der eigene Name.

Ihn musste angeben, dazu das Geburtsdatum und die Lieblingsbeschäftigungen, wer sein „ganz persönliches Buch“ bei den darauf spezialisierten Verlagen bestellte. Man erhielt dann eine Hoppla-Hopp-Mischung aus Horoskop, Märchen und Anbiederung – meist landete der Buchklon schnell im Müll.

Kommen Revolutionen zu Anfang immer so schäbig daher? Der vor vier Jahren boomende E-Commerce-Sektor hatte auch dem Buchmarkt eine alles umwälzende Individualisierung versprochen. Schließlich seien Buchinhalte nichts anderes als frei kombinier- und verpackbare Datenpakete. Also Schluss mit standardisierten Angeboten, Schluss mit der Diktatur der Verlage! Freiheit für den Leser! Hinfort sollte er sich je nach Vorwissen, Interessen und Geldbeutel an einem Terminal oder zu Hause am Computer sein ureigenstes Datenpaket zusammenstellen und nach seinen ästhetischen Vorstellungen Einband, Schrift und Bilder gestalten - und fertig wäre sein unverwechselbares Buch. Was Automobilfirmen mit den Varianten Stufenheck, Stummelheck, Van, Caravan, Coupe, Cabrio usw. längst praktizieren, würde auch in Unterhaltung und Wissen einziehen.

Doch dann erlitt die hoffnungsfrohe Branche ein wenig individuelles Schicksal: Sie ging Pleite. Visionen aber gehen nicht Pleite. Sie kehren in anderer Gestalt wider. Wenn schon die Zukunft nicht mitspielt, muss eben die Vergangenheit herhalten, und so hat nun die Retromode den Buchhandel erreicht. Mancher Kunde einer Buchhandlung zweifelt bisweilen, ob das vor ihm liegende Buch nicht schon seit Jahrzehnten zu Hause auf dem Regal verstaubt. Auf den ersten Blick gleicht der so neu glänzende Thomas Mann-Band „Der kleine Herr Friedemann“ dem teuren Original. Seltsam.

Buddenbrooks, dunkelgrün

Die Zeiten schieben sich ineinander. Bisher war alles einfach: Alte Texte werden neu verpackt. Am wichtigsten war dabei schon immer der Umschlag. Er ist ein Marketinginstrument, eine Werbefläche, eine Information: Was sagt uns der Klassiker heute noch? Außerdem gab es immer Faksimiles. Aber auch diese möglichst getreuen Reproduktionen von Klassikern scheinen zugenommen zu haben. Der Taschen Verlag schaufelt zu sagenhaften Preisen die Gutenberg-Bibel, „Die Abenteuer des Ritters Theuerdank“ und einiges mehr in die Buchhandlungen. Stroemfeld bietet im Rahmen der Kritischen Ausgabe einen Reprint von Kafkas „Verwandlung“ an. Und Suhrkamp legt Adornos „Minima Moralia“ als bibliophiles Schmankerl vor (was den Fetischcharakter dieser besonderen Ware auf passende Weise illuminiert).

All das ist seit einiger Zeit gang und gäbe. Nun aber umarmen sich Gegenwart und Vergangenheit noch einmal neu. Zum Beispiel die Werke der Generation Golf: Sie sehen aus, als stammten sie aus den Siebziger- oder Achtzigerjahren. Klassiker kommen historisch-klassisch daher: Auf Thomas Manns „Buddenbrooks“ wuchert das Original-Dunkelgrün so sehr, dass man meint, das Moos wachsen zu hören. Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ lockt mit dem Umschlag von Georg Salter aus dem Jahr 1929, auf dem die Geschichte des Franz Biberkopf in Schreibschrift und mit eingelagerten kleinen Bildern erzählt wird. Auf dem Buchrücken allerdings prangt das moderne Verlagssignet, hinten finden sich ISBN und Homepage des Verlages. Der Retro-Döblin gleicht der Erstausgabe so sehr wie der Beetle dem VW Käfer.

Die Grafikerin Ina Munzinger, die unter anderem für Marebuch Umschläge entwirft, sieht darin ein Zeichen der Krise: „Es wird einfach alles ausprobiert. Die Verlage sind ungeheuer verunsichert.“ Für ihren Kollegen Rainer Groothuis dagegen, der bei Wagenbach die in rotes Leinen eingeschlagene Salto-Reihe erfand, kann es gar nicht genug Varianten geben: „Warum sollen Bücher nicht in drei oder vier Ausstattungen zu ebenso vielen Preisen vorliegen? In Deutschland gibt es meist nur zwei Alternativen: gebunden oder Taschenbuch. Hierzulande wird entweder anständig gefeiert oder anständig getrauert.“

Vielleicht ist es damit bald vorbei. Denn die Retrobücher mobilisieren die Vergangenheit nicht nur, sie erfinden sie neu. Das in diesem Frühjahr erstmals bei Suhrkamp veröffentlichte „Tagebuch 1953-1963 Sangerhausen“ von Einar Schleef sieht aus, als stamme es aus den seligen Zeiten der „Minima Moralia“: Kein Bild ziert den Umschlag, sondern allein die Schrifttype des Adorno-Klassikers in fünf Reihen. Das Neue erschafft sich seine würdige Zeitgenossenschaft selbst: vorwärts in die Vergangenheit!

Jörg Plath

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