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Rachegöttinnen. Iréne Theorin als Elektra (links), Waltraud Meier debütiert als Klytämnestra.

© AFP

Salzburger Festspiele: Elektra: Reich bemäntelt

Salzburger Festspiele: Nikolaus Lehnhoff und Daniele Gatti stemmen Strauss’ "Elektra". Die Tragödie spielt in einer Gruft.

Es schwirrt und fidelt im Orchestergraben, und die Tuba tönt, lange bevor die Aufführung beginnt. Die Wiener Philharmoniker sind hoch motiviert, denn „Elektra“ gehört als Orchesteroper von Richard Strauss zu ihrem anspruchsvollsten Besitz. Premiere im Großen Festspielhaus. Auch das Publikum ist bestens präpariert, neben dem gesellschaftlichen Ereignis ein Fest der Kunst zu feiern. Und so geht es auch aus: mit viel Jubel, in dem die paar Buhrufe gegen den Dirigenten Daniele Gatti verschwinden.

Vom Himmel an der Salzach grüßen die Gründungsväter Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal, Alfred Roller und Richard Strauss: Der 90. Geburtstag der Festspiele geht ins Land. Und zugleich das Ende der Ära Flimm. Wie ein treu sorgender Vater wird Jürgen Flimm an diesem Abend immer und überall gesichtet. Es ist ein Abschied, der ihm nicht leicht fällt, sagt er, „Mythen“ begleiten ihn. Kein geringes Sommerwunschprogramm.

Nun also Station bei „Elektra“, erste gemeinsame Arbeit von Strauss mit seinem Dichter-Librettisten Hugo von Hofmannsthal. Elektra in tragischer Einsamkeit: Zeitgenossen sahen in der Figur eine Spiegelung der Lebenskrise des Dichters. Elektra opfert ihr Leben als Frau. Die Auserlesene steht als Ausgestoßene da, besessen von dem Gedanken, den Mord an ihrem Vater Agamemnon zu rächen. Ein Stück von den Wonnen blutigsten Schmerzes aus der Tragödie des mykenischen Königshauses, alles andere als ein klassizistisches Griechendrama.

Nikolaus Lehnhoff ist ein diskreter Regisseur, dessen Inszenierungen nicht provozieren und niemandem wehtun. Aber sie setzen mit Theatermitteln sichtbare Zeichen, um tiefere Inhalte zu enthüllen. Hier ist es der Mantel des toten Agamemnon, das Vergangene in der Gegenwart, Elektras Schutzmantel und Heiligtum: Dieser Mantel der Erinnerung verbindet die Schwestern Elektra und Chrysothemis, ja sogar Klytämnestra erlebt in ihm einen kleinen Moment der Mutter-Tochter-Nähe mit Elektra. Und Lehnhoff zeigt, dass der Mantel dem Orest Befehl ist, während er Angst hat vor dem Muttermord: „Die diese Tat mir auferlegt, die Götter, werden da sein, mir zu helfen.“ Der Mord findet statt, die Leiche hängt am Haken, aber die Erinnyen warten. „Überall liegen Tote“, das lässt sich im Triumph des Finales nicht überhören und ist in Frankfurt am Main schon einmal von Regisseur Falk Richter eindringlich thematisiert worden. Hier steht der Rächer und Sohn Agamemnons sehr allein, trägt das Gewand seines Vaters und nun auch die Einsamkeit der Schwester, die gestorben ist.

Das „Elektra“-Orchester hämmert, dröhnt, kreischt – und überwältigt. Viel tiefes Blech, Verdreifachung der Violinen und Bratschen, erregtes Pathos und doch wieder süße Fülle. Am Pult Daniele Gatti, aktueller Bayreuther „Parsifal“-Dirigent und gehandelt in zweiter Linie für die Nachfolge Kent Naganos an der Bayerischen Staatsoper. Man sagt ihm eine Krise nach, aber er weiß, wie sehr er auf die Wiener Philharmoniker bauen kann. Es ist die Musik, die unter Gatti in ihren scharf aneinandergesetzten Szenen singt und sagt: schaurige Abgründe und innig fließendes Thema der Agamemnonskinder. Gattti lässt die Nervenkontrapunktik sprechen, mitunter zu laut, ohne eine eigene Lesart zu verteidigen.

Lehnhoff hatte einst in Anja Silja eine Protagonistin gefunden, deren Persönlichkeit seine Inszenierungen trug. Iréne Theorin als Elektra ist das nicht. Daher dominiert das Requisit des Mantels, wo große Tragödie darzustellen wäre, stolzes Königskind, Dialektik der Treue, furchtbare Majestät. Man staunt, wenn Theorin den ersten Monolog anstimmt mit der elementaren Anrufung Agamemnons aus dem Rhythmus des Namens: Das klingt beinahe wie eine Pamina als Elektra. Theorin trifft alle Töne, zumal die Höhen, verfehlt aber das Wesentliche: die Wucht der Dramatik. Und die Übertitel im Theater sind geeignet, darüber hinwegzutäuschen, dass von dem ausdrucksstarken Text einmal mehr nichts zu verstehen ist.

Anders Eva-Maria Westbroek als Chrysothemis: Sie singt die hellere Dreivierteltaktschwester, die ihr „Weiberschicksal“ ersehnt, mit deutlicher Emphase. Im Lyrischen nähern sich die beiden Stimmen einander zu sehr an.

Das mit Spannung erwartete szenische Debüt Waltraud Meiers als Klytämnestra zeigt eine in der Rolle der Gattenmörderin zunächst ungewöhnlich schöne Frau, gute Figur im Abendkleid (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer), feines Décolleté, die Meier eben. Was sie spielt, ist erregtes Pathos, Angst, Krankheit der Seele. Auch diese Einsamkeit, von Meier mit Inbrunst ausgesungen, weckt Mitleid. Zugegeben, dass man sich vom stimmlichen Kaliber her eher eine Astrid Varnay oder Jane Henschel wünschte. Hoch besetzt ist mit Robert Gambill der Ägisth, der Tenor, der als Liebhaber ausgespielt hat. Nach der Unruhe der Frauenstimmen tritt die Ruhe des Baritons ein: souverän in Wort und Ton René Pape als Orest. Der Darsteller aber verrät die Unruhe in der Ruhe.

Die Handlung spiegelt sich in den Luken schiefen Mauerwerks (Bühne: Raimund Bauer): Von der Mägdeszene an ist es ein Gefängnis für alle, eherner Ernst, gruftiges Milieu. Mit dem Tod der Mutter Klytämenstra und ihres Mittäters Ägisth hat Elektras Leben seinen Sinn erfüllt. Für die anderen aber gibt es kein Entrinnen, der Krieg bleibt. So kann der Regisseur heute in dem trunkenen „namenlosen Tanz“ der Titelheldin keine Läuterung mehr sehen. In diesem Sinn ist Nikolaus Lehnhoffs Inszenierung stimmig.

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