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© dpa

Sanierung: Ostdeutsche Städte wollen Barockhäuser retten

Weniger Abriss, mehr Sanierung: Ostdeutsche Städte wollen historische Häuser retten. Sie sind keine "Schandflecken" im Stadtbild, sondern Erinnerung und Geschichte, ohne die es keine Entwicklung gibt.

An die Zeit, in der ihre Stadt bundesweit im Rampenlicht stand, erinnert sich Ulrike Hoffmann mit Grauen. „Wir sind überall schlechtgemacht worden“, sagt die Referentin des Bürgermeisters von Weißenfels. Abriss statt Sanierung, Container und Autostellplätze statt historischer Häuser – die Stadt mit etwa 30 000 Einwohnern wurde zum Symbol für den Verfall denkmalwürdigen Bestands in Ostdeutschland und für angeblich leichtfertigen Umgang mit der eigenen Geschichte.

Die überregionale Presse ist inzwischen leiser geworden, die Abrissbagger arbeiten, und Weißenfels hofft mit Hilfe der geplanten Neubauten auf eine Chance für die Innenstadt. Die Stadtentwicklung im Osten nach der hitzigen Debatte indes unter dem Spruch „Wir bauen auf und reißen nieder, dann ham’ wir Arbeit immer wieder“ zusammenzufassen, wird der Problematik nicht gerecht. „Pauschalantworten sind gefährlich“, warnt Dagmar Tille vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner, die sich seit Jahren mit dem städtebaulichen Denkmalschutz befasst.

Zwar hat Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee jüngst bei einer Konferenz zum Thema „Stadtumbau Ost – Perspektiven für den innerstädtischen Altbaubestand“ in Berlin bekräftigt: „Abrisse werden wir auch in Zukunft noch brauchen.“ Und doch werden die neuesten Korrekturen am Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ von Kennern als Trendwende weg von der staatlichen Bezuschussung von Flächenabrissen begrüßt.

Beispiel Weißenfels in Sachsen-Anhalt: Dort konzentrierte man sich nach der Wende auf die Sanierung von Vorstadtsiedlungen und Plattenbauten – die Altstadt, dominiert von mittelalterlichen und barocken Gebäuden, hatte das Nachsehen. „Aus Sicht der historischen Altstadt setzte der damalige Bürgermeister andere, falsche Prioritäten“, sagt Tille. Erst Ende der neunziger Jahre begann die Diskussion über den Wert der Altstadt. Gebäude wie die inzwischen zum Symbol des Scheiterns gewordenen Häuser gegenüber dem Novalis-Sterbehaus waren da schon arg mitgenommen. Nach internationalen Protesten gegen einen Abriss einigten sich die Verantwortlichen zunächst darauf, die Häuserzeile nicht abzureißen, sondern zumindest die Fassaden zu erhalten. Der Plan wurde inzwischen aber aus Kostengründen verworfen.

Nun entstehen in dem Viertel zwischen Marien- und Klosterstraße Reihenhäuser, ein Altenheim und Parkplätze. „Natürlich wünscht man sich, dass es anders gelaufen wäre“, sagt die Landeskonservatorin von Sachsen-Anhalt, Ulrike Wendland. Gleichzeitig spricht sie von einer „akzeptablen Lösung“. Im Klartext: Mehr war in Weißenfels einfach nicht drin. Viele Einwohner haben ihrer Heimat den Rücken gekehrt, sind entweder in den Westen gegangen oder in die benachbarte Wirtschaftsregion Halle-Leipzig. Der ohnehin gebeutelten Wirtschaft in Weißenfels setzte das weiter zu – ein Teufelskreis. Die Folgen waren Leerstand und fehlende Investoren für sanierungswürdige Häuser. Die Einwohner selbst wollen oft lieber in Neubauten wohnen, gilt der Standard in den renovierten Plattenbauten doch als deutlich höher – eine Spätfolge der DDR-Wohnungsbaupolitik.

Während in anderen Städten wie Wurzen oder Eisleben weiter abgerissen wird, hat Weißenfels den Aufruhr um die Novalis-Häuser als Alarmsignal verstanden. In einer „Leerstandsbörse“ im Internet werden sanierungsbedürftige Bauten zum Kauf angeboten, zudem sollen Touristen in die Gegend gelockt werden. Der Fremdenverkehr kommt aber nur schwer in Gang, denn dem Ort hängt das Image der Industrieansiedlung an. „Weißenfels ist sicher nicht die Tourismusstadt“, sagt Referentin Hoffmann.

Mit solchen Problemen hat Leipzig als die Metropole der Region nicht zu kämpfen. Doch auch hier kochen die Emotionen von Bewohnern, Stadtverwaltung und Wohnungseigentümern hoch, wenn Gründerzeithäuser in den Vorstädten abgerissen werden. Wolfram Günther vom Stadtforum Leipzig spricht von einer „ganzen Menge gefährdeter Objekte“. Gründerzeithäuser fielen neuen Straßen zum Opfer, billige Neubauten der teureren Sanierung. „Es gibt immer noch Projekte in Wohngebieten, bei denen die Stadt auf Abbruch dringt.“ Im Stadtforum schlossen sich vor drei Jahren Bürger aus Protest gegen die Planungspolitik ihrer Kommune zusammen. Sie stellten sich Baggern entgegen, verteilten Flugblätter und mischten sich politisch ein. Inzwischen arbeite das Forum passabel mit der Stadt zusammen, sagt Günther.

Zornig wird er, wenn er auf den bisherigen Umgang von Kommune und Land mit Fördermitteln zu sprechen kommt. „Die hauptsächliche Gefährdung ist das Programm Stadtumbau Ost.“ Städte erhielten dabei Geld für den Rückbau – also für Abriss. Tille vom IRS bekräftigt, dass die Interessen – gezielter Rückbau auf der einen, Sanierung auf der anderen Seite – bisweilen kollidieren. „Es ist oft rein ökonomisches Denken, das zum Abriss führt.“ In Sachsen erleichtern – wie in vielen Bundesländern – die in den vergangenen Jahren aufgeweichten Denkmalschutzgesetze die Abbruchvorhaben. Minister Tiefensee hat nun angekündigt, das Stadtumbauprogramm stärker auf den Erhalt städtebaulich prägender Häuser zu lenken. So sollen Sicherungsmaßnahmen als Alternative zum Rückbau verstärkt gefördert werden, was Experten zumindest als positives Signal bewerten.

Denn die Bagger rollen oft dort an, wo die Öffentlichkeit gerade nicht hinschaut: In Wurzen und in Eisleben wird so abgerissen, dass das Stadtbild zunehmend perforiert wirkt. Es fehlt an einer durchdachten Verkehrsplanung, die die Attraktivität der Innenstadt erhöhen würde. Trotz aller kurzfristigen Herausforderungen, vor denen gerade kleinere Städte stehen, ist mehr Weitsicht gefragt, denn schneller Profit verbraucht sich auch schnell. Gut erhaltene und sanierte Städte besitzen nachhaltiges Potenzial. Und dort, wo das Geld für den Moment fehlt, braucht man Geduld; historische Häuser sollten gesichert und erhalten werden, bis die Mittel für eine Sanierung da sind. Sie sind keine „Schandflecken“ im Stadtbild, sondern Erinnerung und Geschichte, ohne die es keine Entwicklung gibt.

Kristina Pezzei

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