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Kultur: Sasha Waltz: Wille zur Wildheit

Sasha Waltz tanzt wieder. Lange hat sie nicht auf der Bühne gestanden.

Von Sandra Luzina

Sasha Waltz tanzt wieder. Lange hat sie nicht auf der Bühne gestanden. Und nun zeigt sie sich nicht in einem inszenierten Auftritt. Sie lädt vielmehr ein, sie bei einer Suchbewegung zu begleiten. Ihr Langzeit-Projekt "Dialoge", schon am Künstlerhaus Bethanien betrieben, führt sie auch an der Schaubühne fort. Zum Auftakt hat sie sich vertraute Partner gesucht: den kanadischen Tänzer Benoit Lachambre und die amerikanische Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky.

Den stilisierten Körperwelten, die uns selbst im Alltag immer häufiger begegnen, stellen die Performer ihren Willen zur Wildheit entgegen. Ihnen geht es um Artikulationen, die sich in kein Stilkorsett zwängen lassen. Ein kreisrundes Dekolleté enthüllt den Bauchnabel von Sasha Waltz. Der Blick verharrt auf dieser Körpermitte, diesem bebenden Bauch, dem die Bewegungsimpulse zu entspringen scheinen. Mit gesenktem Blick lauscht sie in sich hinein, als wolle sie ihre innersten Regungen aus sich hervorholen. Mit ausgebreiteten Armen steht sie da, alles ist nurmehr Erspüren und Ertasten von Schwingungen und Vibrationen. Die Frau gibt sich ganz dem Fühlen hin, Benoit Lachambre sitzt derweil beobachtend auf einem Laufsteg auf Metallpfosten. Der Kanadier zeigt wiederum eine Mischung aus absichtsvoller Unbeholfenheit und kontrollierter Raserei. Er bewegt sich, als müsse jeder Schritt neu erlernt werden. Und gleichzeitig so, als wolle er jede Bewusstheit abschütteln. Die erste Begegnung ist kein behutsames Herantasten, sondern Zusammenprall, Überwältigung. Er stemmt sich mit aller Wucht gegen die kauernde Sasha Waltz, als wenn nur ein anderer Körper ihm Stabilität verleiht. Sie dagegen ist die Kraft des Beharrens. Zu sehen sind Körper von Gewicht in gewaltsamer Verklammerung, erzählt wird von physischer Bedrängnis und von emotionaler Gravitationskraft. Mit schüttelndem Kopf, bebendem Bauch, stoßendem Becken tanzen sich die Performer in eine Dauererregung hinein, angefeuert von anschwellenden Percussionsklängen. Nur kurz blitzt die Lust am Spiel und am Leichtsinn auf. Da stößt sie ihn weg, schubst ihn fast vom Steg. Und er fällt ins Vorsprachliche, er juchzt und pfeift und grummelt und brabbelt - eine wild gewordene Comicfigur.

Was mag die beiden an- und umtreiben? Fasziniert, aber auch befremdet verfolgt man dieses Duo der beiden Extremisten. An den nächsten Abenden wird die australische Musikperformerin Joanna Dudley hinzukommen. Das Kräfteverhältnis wird neu ausgelotet. Alles ist möglich.

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