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Kultur: Schani schauen

Wer hätte das vom guten alten Strauß gedacht: Der "Walzerkönig" war sein eigener Hofnarr, der nach dem letzten Tanz mit spitzem Bleistift Karikaturen auf Schmierzettel kritzelte.Skurrile Typen mit Knoll-, Spitz- oder Hakennasen, dralle Matronen und verhärmte alte Jungfern, bohnenstangendünne Strohhutträger, aber auch frivole, unzweideutige Szenen, hier eine barbusige Dame, dort ein splitternackten Herr mit breitkrempigem Hut, der, bis zu den Knien im Wasser stehend, als Allegorie der "Elbe" herhalten muß, wie eine Notiz am Blattrand erklärt.

Wer hätte das vom guten alten Strauß gedacht: Der "Walzerkönig" war sein eigener Hofnarr, der nach dem letzten Tanz mit spitzem Bleistift Karikaturen auf Schmierzettel kritzelte.Skurrile Typen mit Knoll-, Spitz- oder Hakennasen, dralle Matronen und verhärmte alte Jungfern, bohnenstangendünne Strohhutträger, aber auch frivole, unzweideutige Szenen, hier eine barbusige Dame, dort ein splitternackten Herr mit breitkrempigem Hut, der, bis zu den Knien im Wasser stehend, als Allegorie der "Elbe" herhalten muß, wie eine Notiz am Blattrand erklärt.Modern, geradezu zeitgenössisch wirken diese hingeworfenen Skizzen, als hätten sich Cartoonisten aus dem Dunstkreis der Neuen Frankfurter Schule zusammengetan, um ein Panoptikum der Wiener Gesellschaft am Ende des 19.Jahrhunderts zu entwerfen.Mit den weichgezeichneten Strauß-Porträts aus dem Souvenirshop der guten alten Zeit lassen sich diese Karikaturen nur schwer in Einklang bringen.So zeichnet kein fescher k.u.k.Hofballdirektor.In diesen Grimassen und verklemmten Körperhaltungen spiegelt sich der Blick eines galligen Gesellschaftsbeobachters.Johann, mir graut vor dir!

Heute vor 100 Jahren ist der "Schani", wie die Wiener ihren Johann im gewohnt geschmeidigen Tonfall nennen, gestorben - höchste Zeit, den Strauß mit "ß" (um Verwechslungen mit dem "ss"-Strauss Richard zu vermeiden) endlich kennenzulernen.Es genügt, ihn in seinen eigenen Worten zu studieren, nachzulesen in einem jener beliebten Promi-Fragebögen, den der Dreivierteltakt-Imperator im Januar 1891 ausfüllte: "Stellung: Walzerfabrikant; Lieblingsbuch: Cassabuch mit viel Haben; Lieblingsmusikstück: Ei, du lieber Augustin; Lieblingsfarbe: aschgrau; Kleine Liebhabereien: Noten oder Frankfurter fressen; Der brennendste Wunsch: gute Verdauung." Des Walzerkönigs Hofnarr war keiner, der viel lachte: Vergeblich sucht man auf den Fotos nach entblößten Zähnen - wenngleich nicht auszuschließen ist, daß unter der vollendet gepflegten Barttracht ein maliziöses Lächeln die Lippen umspielt.Das wissende Lächeln eines Popstars - des ersten der Musikgeschichte - der haargenau weiß, was die Leute von ihm haben wollen und es ihnen mit nimmermüder Produktivität liefert.Es gibt keine Note von Johann Strauß, die zu seinen Lebzeiten nicht erklungen wäre, haben Musikwissenschaftler nachgewiesen.Und es gibt weltweit heute wie damals wohl nur wenige, die bei seinem Namen nicht wissend mit dem Kopf nicken: Ja, ja, die "schöne blaue Donau"...

Mehr braucht niemand zu wissen, um in die Strauß-Fangemeinde aufgenommen zu werden.Daß der berühmteste Eintänzer der Donaumonarchie selber nicht tanzen konnte, wer weiß das schon? Daß Strauß Sohn bei Hofe nicht sonderlich beliebt war, weil sich einerseits weder Sisi noch Franz Joseph für Musik interessierten und andererseits Johann II.als Teilnehmer der 1848er Revolution und als Mitglied der Österreichischen Friedensgesellschaft der Pazifistin Bertha von Suttner nicht gerade als kaisertreu galt, daß er ebensowenig Probleme damit hatte, aus der katholischen Kirche auszutreten wie seinen österreichischen Paß abzugeben, um Bürger des Herzogtums Coburg-SachsenGotha zu werden - weil er sich nur hier von seiner zweiten Frau scheiden lassen und nur als Protestant seine dritte heiraten konnte? Wer wußte, daß diese dritte, Adele, Jüdin war, ebenso wie Johanns Großvater väterlicherseits, und daß die Nazis deshalb sein Trauungsbuch ins Reichssittenhauptamt nach Berlin kommen ließen, um den Walzerkönig durch eine handschriftliche, bereinigte Kopie des Dokuments nachträglich zu "arisieren"? Damit sie wenigstens seine Operetten noch zur Wehrkraftstärkung weiterspielen konnten.

Paßt alles so gar nicht ins Bild vom liebreizenden Schmäh-Schani, der als Inkarnation des "Wiener Bluts" dem Volk in die Seele schaute.Mit dem Publikum der Grinziger Weinstuben aber hatte er ebensowenig am Hut wie mit dem Adel und den Industrialisierungs-Gewinnlern - am liebsten war er mit seiner Musik allein; ein Misanthrop, der Menschenmassen mied wie die freie Natur, der an Höhenangst litt und den Panik vor dem Tod umtrieb, der stets hypernervös war, weil er ununterbrochen Musik in seinem Kopf hörte.

Von all dem zeigt die offizielle Ausstellung zum 100.Todestag des Komponisten im Historischen Museum Wien nichts (man muß schon im gutgemachten Katalog nachlesen): Was hier präsentiert wird, ist ein garantiert duftfreier Fleurop-Strauß, den man bedenkenlos überall in die Welt verschicken kann - wie in diesem Fall nach Peking und Hongkong.Abgesehen davon, daß durch eine extrem ungeschickte Hängung jedes, aber auch wirklich jedes Exponat durch Spiegelungen nahezu unsichtbar wird, gibt sich diese Schau so süß und glatt wie eine Mozartkugel - jene Kalorienbombe gewordene Verkörperung des anderen musikalischen Exportschlagers Österreichs.Und so wie das Wolferl 1991 zu seinem 200.Todestag tourismustechnisch verwurstet wurde, wird in Wien 1999 nun Strauß buchstäblich plattgewalzt.

Wie die Weimarer Goethes Gartenhaus klonten, haben sich auch die Wiener ihren Johann vervielfältigt: Gut versteckt hinterm Rathaus glitzert eine zweite goldbronzene Schani-Statue der vorbeirollenden Autokolonne entgegen.Für sentimentale Walzerfans, die beim Besuch der österreichischen Hauptstadt nicht auf ein Foto vor dem Strauß-Denkmal verzichten wollen, eine ideale Alternative zum Original im Stadtpark.Hier nämlich muß man für den Schnappschuß nicht nur Schlangestehen, sondern wird garantiert auch von einem Music-Dinner-Verkäufer angequatscht, der im recycelten Rüschenkostüm aus dem Mozart-Jahr dubiose Walzer-Soireen feilbietet.Soviel Schani war nie: In jedem verfügbaren Etablissement werden Wienbesucher im Dreivierteltakt abgezockt, daß der Vermarktungspionier Johann Strauß vor Neid im Grabe rotieren könnte.

Und immer gibt es dieselben Walzer, Polkas und Operetten: Wiener Staatsoper wie Volksoper haben im Jubiläumsjahr neue "Fledermäuse" herausgebracht, das Festival "Klangbogen" im Sommer wirbt mit einer "Wiener Blut"-Premiere.Welche Schätze da noch zu heben sind, zeigt eine charmante kleine Ausstellung im Wiener Theatermuseum.Dort kann man sich - lachmuskelreizend - durch die Inhaltsangaben aller 16 Strauß-Operetten von "Indigo und die 40 Räuber" über "Prinz Methusalem" bis zur "Göttin der Vernunft" lesen.Sängerfotos, Kostümentwürfe, Bühnenbildmodelle, Partitur-Einbände, aber auch mit ironischem Augenzwinkern arrangierte Dekorationen und schlaglichtartige Informationen zu politischen Ereignissen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit machen aus der Schau mehr als einen illustrierten Operettenführer.

Gleich im ersten Raum empfängt den Besucher eine vielsagende Installation: Ein kopfloser Frackträger beugt sich über ein ebenso kopfloses Abendkleid, das nicht vorhandene Ohr an den Busen der Dame gepreßt.Was der Profi sofort erkennt, verrät dem Gelegenheits-Operettenbesucher eine Karikatur hinter den Sofa - das Protagonisten-(Ehe-)Paar aus der "Fledermaus" steckt mitten in der Taschenuhr-Szene des zweiten Aktes.Während er eigentlich im Gefängnis schmoren sollte, vergnügt sich Herr Eisenstein bei der Party des Prinzen Orlowsky mit einer maskierten Schönen, die seine eigene Frau ist.Prägnanter läßt sich die verlogene Selbsttäuschung der kopflos in ihren Untergang walzenden Wiener Gesellschaft im ausgehenden 19.Jahrhundert nicht fassen.

Was Johann Strauß betrifft, so wird er auch im neuen Jahrtausend wohl weiterhin ein Herr ohne Oberleib bleiben, ein dienstbarer Geist, der immer ganz Bein ist, wenn es die Leute danach verlangt, sich im Kreis zu drehen, ein Tanzbär für jene seligen Stunden, in denen "glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist." Der andere, der rebellische Johann Strauß, der genau wußte, welche Bedürfnisse er mit seiner Musik befriedigte und der doch nicht vom Komponieren lassen konnte, der spürte, daß sich die moribunde Monarchie mit Walzer und Champagner vollaufen ließ, um im Suff nicht mehr über die Zukunft nachdenken zu müssen, der Rauschmittellieferant Strauß wird seine Rolle weiterhin im Verborgenen spielen.In den Worten des "Fledermaus"-Prinzen Orlowsky zum Beispiel: "Wer mir beim Trinken nicht pariert, sich zieret wie ein Tropf, dem werfe ich ganz ungeniert die Flasche an den Kopf."

Historisches Museum Wien: "Unter Donner und Blitz", bis 26.9., Katalog 380 Schilling

Österreichisches Theatermuseum: "Wiener Blut", bis 26.10., Katalog 45 Schilling

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