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Zwischenjahre. Noch Kind, schon erwachsen? Ein Bild des Fotografen.

© Dziworski

Schau in Galerie von Kories: Kleine Freiheit

Die Galerie Hilaneh von Kories zeigt den polnischen Fotografen Bogdan Dziworski. Seine Bilder halten poetische Augenblicke des Alltags und Lebensgefühl fest.

Man muss nur lange genug schauen, um die verrücktesten oder auch schönsten Szenen des Alltags wie auf einer Bühne vor sich zu sehen. Ein wenig Glück gehört dazu – und Ruhe natürlich. Henri Cartier-Bresson, der große französische Fotograf, hatte beides und das richtige Gespür für den Moment. Bogdan Dziworski, Filmemacher und Fotograf, genießt in seiner Heimat den Ruf eines „polnischen Cartier-Bresson“. Aber die Gleichsetzung verwischt die Unterschiede. Wer in Polen fotografiert, muss sich mit einem anderen Milieu als dem französischen auseinandersetzen. Statt eines heiteren Himmels spannt sich oft nur ein grauer über das Land. Als Fremder spürt man eine spannungsgeladene Stimmung, die aus der Geschichte kommt. So vermitteln es uns unzählige Filme aus dem Nachbarland und manchmal auch Fotografien.

Bogdan Dziworski ist ein bedeutender fotografischer Seismograf, und es wurde Zeit, sein mit den Jahren gewachsenes Werk in einer repräsentativen, von der Leica Galery in Warschau bestückten Auswahl in Berlin vorzustellen. Die 32 schwarz-weißen Arbeiten im mittleren Format (Preise: je 2400 Euro, Digitalprints: je 950 Euro) in der entdeckungsfreudigen Galerie Hilaneh von Kories lassen sich grob in mehrere Werkgruppen gliedern: junge Liebe, Straßenmusikanten, Kinder auf Hinterhöfen, poetische Augenblicke. Das Gros der Aufnahmen entstand in der zentralpolnischen Industriestadt Lódz, wo Dziworski 1941 geboren wurde und mit deren Plätzen, Straßen und Winkeln er bestens vertraut ist. Bereits während des Studiums an der renommierten Filmhochschule der Stadt entstand der größte und beste Teil seines Oeuvres, geprägt von jugendlicher Frische und unermüdlicher Entdeckerfreude.

Filmreife Bilder

Manche Szenen, die der Student beobachtet, aber nie selbst arrangiert hat, könnten Stills eines Spielfilms sein. So wie dieses Treffen eines auf seinem Motorrad hockenden jungen Mannes mit seiner Freundin, die hinter dem Absperrgitter eines Ladeneingangs stehen geblieben ist. Das Geschäft scheint leer, die Fassade erinnert an bessere Zeiten. Man sollte dem Motiv nicht zu viel gewollte Symbolik anhängen, doch ein Zeitbild ist es schon, so wie viele in dieser Auswahl, die unter dem etwas zu hoffnungsvollen Titel „Glückliche Momente“ rangiert. Auch wenn Streiks, Demonstrationen und die Solidarnosc-Bewegung der achtziger Jahre außen vor bleiben, vermitteln die Arbeiten des Fotografen, der sich mehr noch als Dokumentarfilmregisseur und Kameramann einen Namen gemacht hat, das zeitgenössische Lebensgefühl.

Ist es ein glücklicher Moment, wenn ein Straßenmusiker im Regen den spärlichen Passanten mit seiner Geige aufspielt und dazu noch einen Stock als Stütze braucht? Von einem erhöhten Standort aufgenommen, wie es auch Cartier-Bresson oder André Kertész liebten, weist die Aufnahme perspektivisch in die unbestimmte Ferne. Das Leben geht über das Einzelschicksal hinweg. Wenn nicht von Glück, so kann hier wie in den anderen wie beiläufig „eingefangenen“ Szenen eher von einem Gefühl der Freiheit gesprochen werden, die der Fotoapparat als Freiraum des Einzelnen entdeckt. Zum Beispiel bei jener jungen Frau, die wir in Lódz an einer Bordsteinkante stehen sehen und die offenbar unschlüssig ist, ob sie den nächsten Schritt auf die garantiert autofreie Fahrbahn setzt. Soll sie warten, soll sie gehen?

Alles hat seine Grenzen

„Alles kann passieren“ (1995) heißt ein bekannter Dokumentarfilm von Dziworskis hochgeschätztem Berufskollegen Marcel Lozinski. Der philosophisch vage Titel könnte auch als Motiv über diesen meisterhaften Fotografien stehen. Jedes erzählt bildstark von einer existenziellen Freiheit, die kein System und keine Ideologie den Menschen nehmen kann. Die herumtollenden Kinder an der Teppichstange im Hinterhof haben sie sich schon genommen: Was kümmern sie das graue Mauerwerk und der bröckelnde Putz? Oft kommt Humor als begleitende Komponente hinzu, so wenn Dziworski 1983 in Warschau ein adrettes junges Paar aufspürt, das vor einer zoologischen Handlung amüsiert einem in seinem Bauer herumspringenden Vogelpaar zuschaut und sich dabei seines eigenen Glücks freudig gewiss werden mag. Aus dem Halbdunkel des Ladens nach draußen schauend sieht man aber auch gleich die nahe Hauswand hinter den Gesichtern. Alles hat seine Grenzen.

Am Ende steht eine absurde Szene, die Dziworski 1995 beim Schlendern über ein Bahngelände in den Bann zog. Die Mitwirkenden dieser Szene sind ein im Gleisbett liegender Mann und ein weißes Huhn, die sich gegenseitig aus nächster Nähe fixieren. Aber wer passt hier auf wen auf, wer wird rechtzeitig vor einem nahenden Zug warnen? Haben denn Mensch und Huhn beide im Glück des Augenblicks die drohende Gefahr vergessen? Wer weiß. Die meisten Fotografen würden diese Szene aus nächster Nähe, vielleicht mithilfe eines Teleobjektivs, festhalten wollen. Dziworski aber wählt die Ferne und stellt das pittoreske Moment unter einen schier unendlich weiten Horizont. Wieder so eine Geschichte, in der alles passieren kann.

Galerie Hilaneh von Kories, Belziger Str. 35; bis 21. 12., Di–Fr 14–19 Uhr

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