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Emmanuel Bornsteins Gemälde "The Tunnel" (Ausschnitt).

© Marcus Schneider/Courtesy Galerie Crone

Porträt des Malers Emmanuel Bornstein: Schicht um Schicht

Inspiration Kafka: Der französische Maler Emmanuel Bornstein ringt mit seinen Bildern. Nun zeigt er sie in einer großen Einzelausstellung.

Von Oliver Bilger

Franz Kafka hat den Prozess des Schreibens einmal mit einem Tunnel verglichen, in den er sich während der Arbeit begibt. In diesem dunklen Kanal ist der Autor selbst ein Teil der Narration und im Unklaren darüber, wie sich seine Figuren entwickeln werden. Er wird zum Medium einer Geschichte, die erzählt werden will, ohne um deren Ausgang zu wissen. Auf dieses Zitat stieß Emmanuel Bornstein, als seine Bilder „Tunnel 1“ und „Tunnel 2“ schon weit fortgeschritten waren. Und war erstaunt, wie präzise sich in Kafkas Arbeitsweise sein eigenes Vorgehen als Maler spiegelt.

In der Crone-Galerie lehnen die meisten seiner Werke noch an der Wand, eine Gemeinschaftsausstellung junger Künstler aus Österreich läuft noch. Bornsteins Bild „Der Kuss“ hängt noch im Haus am Lützowplatz, wo bis 21. Juni (11 bis 18 Uhr) die Gruppenausstellung „Black Bandits“ läuft. Es zieht erst unmittelbar vor der Vernissage in die Crone-Galerie um. Am 26. Juni wird die zweite Einzelausstellung des jungen Malers eröffnet, auch ihr Titel ein Kafka-Zitat: „Im Kampf mit dir und der Welt sekundiere der Welt.“

Selbst halb verpackt ziehen seine großformatigen Gemälde den Betrachter in Szenerien aus Farben, Figuren und Formen hinein. „Ich beginne immer mit Farbschichten,“ erklärt der gebürtige Franzose seine Technik. „Schicht um Schicht wird aufgetragen. Für mich bekommt das Gemälde dadurch eine Haut. Oft bleiben meine Gemälde lange Zeit in diesem Stadium.“

Der Maler Emmanuel Bornstein.
Der Maler Emmanuel Bornstein.

© Alexander Hattwig

Irgendwann beginnt das Bild zu sprechen, im Idealfall schreit es. Bornsteins Figuren – Männer, die auf anderen Männern reiten, Menschen, die kopfüber in einen Tunnel gezogen werden, die sterbend und mit offenen Mündern am Boden liegen – werden erst später Teil des Gemäldes. Es sind Gespenster aus der deutschen Vergangenheit. Eine Figur ähnelt dem SS-Hauptsturmführer und NS-Verbrecher Klaus Barbie, eine andere Franz Kafka, ein ineinander verschlungenes Liebespaar soll an Bornsteins Großeltern erinnern, jüdisch-polnische Resistance-Kämpfer im Zweiten Weltkrieg. Doch der 29-Jährige will mehr als Geschichte illustrieren: „Ich bin kein Erzähler,“ konstatiert er. „Diese Figur heißt nicht Klaus Barbie sondern nur K, eine Referenz an Kafkas Roman ,Das Schloss’. Geschichte soll offen sein, alles andere wäre zu komfortabel für den Betrachter.“

Emmanuel Bornstein stammt aus einer Toulouser Theaterfamilie

Der junge Künstler hat überaus konkrete Vorstellungen davon, was er mit seinen Gemälden ausdrücken will. Als Dreijähriger begann er zu malen und hat nie wieder aufgehört: „Mir war immer klar, dass ich Maler sein will. Meine Eltern haben mich darin stets unterstützt. Ich musste mich ihnen gegenüber nie durchsetzen, habe Kämpfe eher gegen mich selbst ausgetragen.“ Hineingeboren in eine Toulouser Theaterfamilie sind seine ersten Kindheitserinnerungen die Abende im Haus der Eltern, an denen sich Regisseure, Schauspieler und Dramaturgen um den Wohnzimmertisch scharen. „Ich war viel zu schüchtern, also habe ich mich unter dem Tisch versteckt und gemalt. Meine ersten Erinnerungen sind Hosenbeine und meine Bilder. Und die Hunde. Ich saß immer bei den Hunden.“ Bis er 14 Jahre alt ist, malt Bornstein nur abstrakt. Der Künstler kramt zwei Fotografien seiner ersten Bilder hervor. Sie zeigen farbige Formen und Muster und sehen nicht aus wie die Zeichnungen eines Kindes im Vorschulalter.

Der Franzose scheint dieser nachdenkliche Junge geblieben zu sein, der sich lieber unter dem Tisch versteckt und beobachtet. Er überlegt lange, bevor er auf eine Frage antwortet, wägt ab, will präzise sein. Mit seinen wuschelig vom Kopf abstehenden Haaren, der Lederjacke, den ausgewaschenen Jeans und schweren Siegelringen an den Fingern passt er gut nach Berlin – allerdings nicht in jene schnelllebige, oberflächliche Großstadt und deren Selbstverliebtheit. Bornstein wirkt eher wie ein verträumter Vertreter einer Künstler-Bohème, die es so schon nicht mehr gibt.

"Malen ist ein täglicher Kampf zwischen dir und dem Gemälde"

Emmanuel Bornsteins Gemälde "The Tunnel" (Ausschnitt).
Emmanuel Bornsteins Gemälde "The Tunnel" (Ausschnitt).

© Marcus Schneider/Courtesy Galerie Crone

Seit sechs Jahren lebt der Maler nun schon in der Stadt. Ihn faszinieren hier die Freiräume, die vielen unbebauten Flächen, die Berlin im Vergleich zu Paris hat. „Hier ist die Geschichte noch sehr lebendig. Man muss nur eine Schicht abtragen, ein bisschen an der Oberfläche kratzen, und schon sieht man die Spuren der Vergangenheit.“ Paris im Vergleich sei eine Museumsstadt. Das wäre toll, sagte er, biete aber kein gutes Arbeitsklima. Er muss es wissen. In der französischen Hauptstadt hat der junge Mann an der École Nationale Supérieure des Beaux Arts Malerei studiert und in einer winzigen Dachwohnung sein Atelier gehabt. Dort sei er stets von seinen Arbeiten und den giftigen Dämpfen der Farben umgeben gewesen, erzählt er. Doch Abstand zu der eigenen Arbeit sei wichtig, um urteilen zu können. Frischer Wind kam mit einem Stipendium. Zwischen 2009 und 2010 hat er, unterstützt vom Französisch-Deutschen Jugendwerk, die Universität der Künste in Berlin besucht.

Längst lebt er hier, hat sein Studio wie so viele junge Künstler in Neukölln. Gerade ist es bis auf wenige zusammengerollte Leinwände leer. Dort, wo Bornstein über die Leinwand hinausgemalt hat, sind Flecken in allen Farben und Formen auf der Wand zu sehen, darin quadratische weiße Flächen, wo einmal das Gemälde stand. Das sei genau die richtige Atmosphäre, um Neues zu schaffen, erzählt der junge Maler.

Nach einer Ausstellung verkauft er fast alle seine Bilder, es fällt ihm nicht schwer. „Ich habe das Gefühl, unter Druck stehen zu müssen, um wieder zu malen. Jedes Mal aufs Neue habe ich Angst, nicht mehr malen zu können.“ Bornstein steht dann sehr früh auf, vor sechs Uhr morgens und radelt in sein Studio. Er fühlt sich dann wie der erste Mensch, der schon wach ist, sagt er.

„Malen ist ein täglicher Kampf zwischen dir und dem Gemälde. Und es hat immer das letzte Wort. Es sagt dir, wann es fertig ist.“ Wenn Bornstein das Gefühl hat, seine Arbeit sei beendet, stellt er das Bild umgedreht an die Wand und zwingt sich, es mehrere Wochen nicht anzusehen. Nur so könne er zu einem zufrieden- stellenden Urteil gelangen. Das ist wie „ein Dialog zwischen dem Bild und mir“.

Bornsteins Stil ist seit seiner letzten Einzelausstellung abstrakter geworden

Mit Kafka verbindet den Maler das Verträumte, nicht ganz in dieser Welt verwurzelt zu sein. Für den Schriftsteller lebten die Menschen immer am Rand einer fantastischen Welt, eine Sicht auf die Dinge, die Bornstein gut verstehen kann. Er liest viel, die größte Anregung bezieht er aus der Literatur. Beim Malen spukt ihm oft ein Satz aus Büchern stundenlang im Kopf herum. Eine weitere Inspirationsquelle ist Goya. Einige seiner Figuren in der aktuellen Ausstellung hat er sich von von dem spanischen Maler entliehen, wenn auch in abgewandelter Form.

Bornsteins letzte Einzelausstellung 2013 trug den Titel „Waldbowling“. Sein Stil hat sich seither gewandelt. „Ich möchte als Maler meinem Medium vertrauen. Seit drei Jahren versuche ich, weniger zu erzählen. Meine Figuren sind abstrakter geworden. Die Erzählung ist schon überall, sie ist präsent, sie muss sich nicht im Gemälde wiederfinden." Über diese Sicherheit als Künstler, kann man bei Bornstein nur staunen. Doch vielleicht ist es am Ende auch eine befreiende Erkenntnis, zu wissen, dass man im Kampf zwischen sich und der Welt immer den Kürzeren ziehen wird.

Galerie Crone, Rudi-Dutschke-Straße 26, 27. Juni bis 12. September, Vernissage 26. Juni 19 – 21 Uhr, Dienstag bis Samstag 11 – 18 Uhr

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