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Kultur: Schildbürger in Aktion

Von Friedrich Dieckmann Vernunft scheint eingekehrt bei den Disponenten von Berlins historischer Mitte, sie haben auf die via triumphalis verzichtet, die Schinkel und Rauch einst Unter den Linden aus den Statuen bedeutender Heerführer der Befreiungskriege von 1813-15 anlegten. Blücher, Gneisenau und Yorck bekamen damals bronzene Standbilder auf der Süd-, Scharnhorst und Bülow marmorne auf der Nordseite der Avenue; letztere flankierten ein von Schinkel neu geschaffenes Wachgebäude, das kein Sieges- und kein Ehrenmal, sondern ein Funktionsgebäude war.

Von Friedrich Dieckmann

Vernunft scheint eingekehrt bei den Disponenten von Berlins historischer Mitte, sie haben auf die via triumphalis verzichtet, die Schinkel und Rauch einst Unter den Linden aus den Statuen bedeutender Heerführer der Befreiungskriege von 1813-15 anlegten. Blücher, Gneisenau und Yorck bekamen damals bronzene Standbilder auf der Süd-, Scharnhorst und Bülow marmorne auf der Nordseite der Avenue; letztere flankierten ein von Schinkel neu geschaffenes Wachgebäude, das kein Sieges- und kein Ehrenmal, sondern ein Funktionsgebäude war. Nur der Zierrat spielte diskret auf den Sieg im Befreiungskampf über einen Imperator an, der mit Preußen ein böses Spiel getrieben hatte.

Weiße Eminenzen

Vor den Bombardements des Zweiten Weltkriegs konnten die Statuen geschützt werden. Aber es dauerte eine Weile, bis sie wieder zu Tage traten, zuerst die drei BronzeGeneräle, aber nicht an der alten Stelle, sondern ein Stück nach hinten gerückt, als Blickfang einer kleinen Parkanlage, die der Architekt Paulick – Erbauer der alt-neuen Staatsoper sowie des als Operncafé neu errichteten Prinzessinnenpalais’ – zwischen diesen Gebäuden aus friderizianischer Zeit angelegt hatte. Paulick hatte der Bronzegruppe einen würdigen Hintergrund geschaffen: das neue Verwaltungsgebäude der Deutschen Staatsoper, dessen Außengestalt auf sensible Weise auf die Fassade des von Paulick erneuerten Knobelsdorff-Baus Bezug nahm.

Bei dieser Parkaufstellung soll es nun bleiben; das Berliner Denkmalamt hat von seinem Vorhaben abgelassen, die Gruppe der Bronzegeneräle nach vorn, auf ihren alten Standort innerhalb des Linden-Trottoirs vorzurücken. Sie haben gut daran getan. Aber die Vernunft hat Grenzen: Nun will man die beiden „weißen“, marmornen Generäle, Scharnhorst und Bülow, im vorderen Teil der Grünanlage platzieren, mit dem Rücken zu ihren Kampfgefährten. Dieser Rasenplatz gilt als Notlösung, weil die beiden eigentlich vor die Schinkelsche Wache gehören, an ihren ursprünglichen Ort, von dem das Votum der Kollwitz-Erben sie fernhält. Diese erklärten die Wiederaufstellung der Generäle für unverträglich mit der Mahnmals-Pietà ihrer Großmutter in der Neuen Wache und knüpften ihre Zustimmung zu der vergrößernden Nachbildung dieser Skulptur an die Bedingung, dass die Generalsstatuen nicht vor dem Gebäude aufgestellt werden.

Arne Kollwitz, der Sprecher der Erben, soll diese Bedingung gestellt haben, um mit der Aufstellung zweier Militärs nicht gegen die pazifistische Haltung der Kollwitz zu verstoßen. Aber es geht an dieser geschichtlich bedeutenden Stelle nicht um Generäle schlechthin, sondern um den Unterschied zwischen Verteidigungs- und Eroberungskrieg. Scharnhorst, der Planer und Stratege der preußischen Erhebung, und Bülow, der Retter Berlins in den September-Schlachten des Jahres 1813, stehen für die siegreiche Gegenwehr gegen ein Besatzungsregime, das Preußens Heere zur Mitwirkung am Überfall auf Russland gezwungen hatte. Dagegen ist die Neue Wache in ihrer jetzigen, von der DDR in den 50er Jahren gefundenen und vom wiedervereinigten Deutschland prinzipiell übernommenen Gestalt ein Mahnmal im Gedenken an die Opfer eines Regimes und eines Eroberungskriegs von pizarrohafter Kolonialbrutalität. Bereits der Erste Weltkrieg, dessen Gefallenen hier 1930 ein Ehrenmal errichtet worden war, hatte unter den Auspizien des deutschen Imperialismus gestanden. Dass der Monumentalraum des Eingedenkens an die Opfer zweier deutscher Angriffskriege nicht mit zwei Generälen dekoriert werden kann, die das genaue Gegenteil verkörpern, sollte auf der Hand liegen.

Aber die Berliner Ämter haben Schwierigkeiten damit. Gebremst nur durch die Kollwitz-Erben, betreiben sie die Wiederherstellung einer Außengestalt von hohem ästhetisch-architektonischen Rang, ohne sich klar zu machen, dass sie zuvor das Innere ändern müssten. Um die beiden Rauchschen Figuren sinnvoll an ihren alten Platz stellen zu können, gälte es, die Neue Wache zuvor aus dem pseudosakralen Status des Mahnmals in den eines Zweckgebäudes zurückversetzen, wie es der Schinkelbau war. Natürlich nicht als Wachstation, aber vielleicht als ein dem Deutschen Historischen Museum angegliedertes Ausstellungsgebäude. Ehe eine solche Resäkularisierung nicht vollzogen ist, wird man auch nach dem Erlöschen des Kollwitzschen Urheberrechts 2015 die Herren Scharnhorst und Bülow nicht vor die Neue Wache stellen können, ohne Zweck und Gestalt unheilvoll auseinander zu reißen.

Dasselbe Problem stellte sich vermutlich schon den DDR-Planern der 60er Jahre. Wenn sie klug gewesen wären, hätten sie die beiden Marmorunikate in das Alte Museum gestellt. Die beiden Standbilder sind nicht nur die wertvollsten, sondern auch die empfindlichsten Berliner Plastiken aus dem 19. Jahrhundert, von einer Bedeutung für die Stadt, die man mit der von Michelangelos David für die Stadt Florenz durchaus vergleichen kann. Aber so klug war man nicht – Scharnhorst war ja inzwischen zum Ahnherrn der DDR-Armee avanciert. Er durfte nicht ins Museum, er musste ins Freie, schon um gelegentlich mit Kranzniederlegungen geehrt werden zu können. Ach, es hat ihm nicht gut getan! Der im Abgassog einer Hauptverkehrsader stehende, dem sauren Regen preisgegebene Carrara-Marmor wurde zerrüttet, und da die herrschende Generalität die Figur immer im Blickfeld haben musste, bekam das verletzliche Unikat auch kein Winterhäuschen, wie schräg gegenüber die künstlerisch weniger wertvollen Sitzfiguren der Gebrüder Humboldt.

Gleichnis des Ganzen

Als weiteres Krisenmoment kamen die im Operncafé untergebrachten Restaurants hinzu, zu denen auch ein Nachtlokal gehörte. Denn die Figur war vollkommen ungeschützt; anders als einst im preußischen Berlin war auch kein Geländer um sie gelegt. So konnte es nicht verwundern, dass eines Tages der berühmte, sinnend zum Kopf erhobene Zeigefinger des Heeresreformers abgefallen oder abgebrochen war; am Fuß der Figur lösten sich die Marmorornte auf. Eingaben in prosaischer wie in lyrisch-satirischer Form fruchteten nichts, der Zerfall des Ahnherrn nahm seinen Lauf; er konnte für ein Gleichnis des Ganzen gelten. Bülow indes, der, den preußischen Reformern fernstehend, sich nicht zum Ahnherrn empfohlen hatte, überdauerte unversehrt im Depot.

Das soll nun anders werden. Nach dem Willen der Ämter sollen beide Figuren auf jenen Rasenplan rücken, wo zu DDR-Zeiten nur Scharnhorst dem zersetzenden Wirken der Berliner Luft preisgegeben war. Man hat die Scharnhorst-Statue in jahrelanger Arbeit restauriert und hätte nun endlich Gelegenheit, die Standbilder dorthin zu geben, wo sie hingehören: ins Museum. Wollte man sie im Garten des Operncafés zeigen, könnte man Kopien in Auftrag geben, am besten bronzene Abgüsse, wie sie der preußische Kultusminister von den Marmorstandbildern der friderizianischen Generäle auf dem Wilhelmsplatz anfertigen ließ.

Aber die Anfertigung von Abgüssen oder Kopien ist in Berlin offenbar niemals erwogen worden. Und so werden wir demnächst nicht nur den schon einmal zerrütteten Scharnhorst, sondern auch den bisher unversehrten Bülow auf dem Rasenplatz neben dem Operncafé stehen sehen, einem langsamen oder schnellen Verderb preisgegeben. Berlin ist immer für Schildbürgerstreiche gut. Aber das Wort ist zu gelinde; was hier droht, ist ein Akt von passivem Vandalismus.

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