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Kultur: Schlemihls Schüler Interkulturelle Literatur? Gibt es sie überhaupt? Heute erhält Feridun Zaimoglu den Chamisso-Preis

Was verbindet Wladimir Kaminer, den Hansdampf in allen Mediengassen, mit Said, dem feinsinnigen Lyriker und Präsidenten des deutschen PEN? Was den eloquenten Rafik Schami mit der gebildeten Zsuzsanna Gahse?

Was verbindet Wladimir Kaminer, den Hansdampf in allen Mediengassen, mit Said, dem feinsinnigen Lyriker und Präsidenten des deutschen PEN? Was den eloquenten Rafik Schami mit der gebildeten Zsuzsanna Gahse? Und was die melancholische Zsuzsa Bánk mit dem rotzigen Feridun Zaimoglu, dem Chamisso-Preisträger 2005? Ästhetisch-politisch-praktisch nichts. Nur eines: Sie gehören zur „interkulturellen Literatur“.

Die grausig klingende Bezeichnung ist ein Retortengeschöpf der sozialpädagogischen Siebziger. Damals häuften sich Veröffentlichungen von Ausländern in Deutschland. Der Arbeitskreis Literatur der Arbeitswelt druckte Reportagen der Kollegen Gastarbeiter. Aras Ören, Güney Dal und Rafik Schami verbreiteten orientalischen Überfluss. Die Italiener Franco Biondi und Gino Chiellino dachten zudem politisch und gründeten 1980 in Frankfurt am Main den „Polynationalen Literatur- und Kunstverein“. Gemeinsam mit Yusuf Naoum (Libanon), Rafik Schami und Suleman Taufiq (beide Syrien) gaben sie die Reihe „Südwind gastarbeiterdeutsch“ heraus (ab 1983 „Südwind-Literatur“).

Gerade einmal ein Vierteljahrhundert ist seitdem vergangen, und aus den zarten Anfängen sind so viele unterschiedliche Stimmen geworden, dass sie nicht mehr als eine zusammengehörige Strömung wahrgenommen werden. Geblieben ist allerdings der Begriff „interkulturelle Literatur“. Es gibt nämlich keinen besseren. Gastarbeiterliteratur, Minderheitenliteratur, Migrantenliteratur, Multikultiliteratur, hybride Literatur – all das sind oft negativ klingende, in der Regel unscharfe oder gar unzutreffende Bezeichnungen. Als Aussiedler aus Russland müssen die interkulturellen Autoren nicht einmal Ausländer sein. Aber sie selbst oder ihre Eltern oder Großeltern stammen aus dem Ausland, und nun leben und schreiben sie in Deutschland. Sie sind „Döner in Walhalla“, wie Ilija Trojanow seine Anthologie der „anderen deutschen Literatur“ nannte (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000), und nicht selten auch Sushi, Lammcurry oder Gulasch.

An wen immer Harald Weinrich 1983 appellierte, als er in der Zeitschrift „Merkur“ den Aufsatz „Um eine deutsche Literatur von außen bittend“ veröffentlichte – er war schon längst erhört worden. Die deutsche Commonwealth-Literatur hatte mit Autoren aus der ersten großen Einwanderergruppe begonnen, den Italienern. Inzwischen überwiegen die Kinder und Enkel der türkischen Arbeiter: Feridun Zaimoglu, Zehra Cirak, Zafer Senocak, zuletzt Yadé Kara und Imran Ayata. Daneben verzeichnet das Handbuch „Interkulturelle Literatur in Deutschland“ (Metzler, Stuttgart 2000) Vertreter beinahe jeder Nation. Stark vertreten sind Spanier, Griechen, Iraner, Libanesen sowie Osteuropäer. Bei ihnen allen handelt es sich oft um ins Exil getriebene Intellektuelle wie Lew Kopelew, Ota Filip und Libuse Monikova.

Standen anfangs Reise, Grenzübertritt, die Erfahrung des Fremden (Deutschen) und die Sprache(n) im Mittelpunkt der interkulturellen Literatur, so ist das Themenspektrum mittlerweile unübersehbar geworden: Das Interkulturelle trat zugunsten der Literatur zurück. Diese Entwicklung lässt sich an den Preisträgern einer Auszeichnung ablesen, die nach einem Franzosen benannt ist. Louis Charles Adélaide de Chamisso floh als Neunjähriger mit seinen Eltern vor der Revolution über den Rhein und wurde durch seine Balladen und „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ zum deutschen Nationaldichter Adelbert von Chamisso. Der Chamisso-Preis wird vergeben an „Autoren nichtdeutscher Muttersprache, die mit ihrem (auf Deutsch geschriebenen) Werk einen wichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leisten“. Zu den Preisträgern der letzten Jahre gehören Emine Sevgi Özdamar („Die Brücke vom Goldenen Horn“), Terezia Mora („Alle Tage“), Zehra Cirak („Leibesübungen“), Radek Knapp („Herrn Kukas Empfehlungen“) und Asfa-Wossen Asserate („Manieren“). Heute erhält Feridun Zaimoglu („Zwölf Gramm Glück“) in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München den mit 15000 Euro dotierten Preis, der aus Rumänien stammende Dimitre Dinev („Engelszungen“) darf sich über die 7000 Euro des Förderpreises freuen.

Harald Weinrich hatte den Preis gemeinsam mit der Robert-Bosch-Stiftung 1985 ins Leben gerufen. Obwohl er im erwähnten „Merkur“-Aufsatz ausdrücklich Abstand vom „Konzept der Nationalliteratur“ genommen hatte, warnte die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel in „Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur“ vor paternalistischer Eingemeindung von Minderheiten in eine deutsche Nationalliteratur: An die Stelle der selbst organisierten Gegenöffentlichkeit träten deutsche Akademiker als Förderer. Gern hätte Weigel in den Minoritäten ein Korrektiv für die deutsche Hegemonialkultur gesehen, weshalb sie kritisierte, dass sich die Autoren zunehmend als Künstler verstünden. Von identity politics, wie sie in den USA Künstler aus Minderheiten propagieren, wollte und will hierzulande niemand etwas wissen. Denn als Ausländer ist man stigmatisiert: Die perfekt deutsch sprechende Tschechoslowakin Libuse Monikova bemerkte 1991 in ihrer Dankesrede befremdet, der Chamisso-Preis erinnere sie „daran, dass ich Ausländerin bin“.

Heute erinnert der Chamisso-Preis die Öffentlichkeit eher daran, dass ein von Kritik und Lesern geschätzter Autor wider Erwarten kein Deutscher oder nicht in Deutschland aufgewachsen ist – nicht anders übrigens als seinerzeit Franz Kafka, Elias Canetti oder Paul Celan. In seinem 20. Jahr ist der Chamisso-Preis etabliert und längst kein Sprungbrett mehr, sondern eine Ehrung unter vielen. Das könnte ebenso problematisch werden wie die wachsende Zahl von Autoren der dritten Einwanderungsgeneration, deren Muttersprache Deutsch ist; Zsuzsa Bánk etwa spricht kaum Ungarisch. Zuallererst aber ist es eine Erfolgsgeschichte – für den Chamisso-Preis ebenso wie für die Autoren und die Leser.

Jörg Plath

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