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Der in Berlin lebende Schweizer Musiker Dagobert.

© Victor Staaf

Schnulzensänger Dagobert: Dagobert: Endlich fühlt man mal was

Großer Schmelz, zarter Schmalz: der Schnulzensänger Dagobert und sein glücklichmachendes Album „Afrika“.

Eigentlich ist es ganz einfach. Dagobert singt Lieder über die Liebe – worüber soll man auch sonst singen. Wichtig dabei ist, dass er es mit seiner Musik schafft, Menschen ins Herz zu treffen, die eigentlich viel zu großstädtisch und abgekocht sind für deutschsprachige Schlagerschnulzen.

Endlich wieder was fühlen! Und das, ohne sich wie ein ZDF-Fernsehgartengast vorkommen zu müssen – wo Dagobert übrigens 2013 mit seinem Song „Ich bin zu jung für dich“ (!) auftrat (einigermaßen folgenlos übrigens, von seinem damals frisch erschienenen Debütalbum „Dagobert“ verkaufte er angeblich nur 3500 Exemplare). Jetzt ist er wieder da, mit seiner neuen Platte „Afrika“, auf der er seinen Stil weiterentwickelt.

Man hört: Schmissige Schunkelnummern und unverschämte Ohrwürmer, Sehnsucht und Beziehungskrise, Verlust und Liebeswerben. Da leitet Bläser-Humptata die Versöhnungshymne „Angeln gehen“ ein: „Was soll ich tun / damit du mit mir Angeln gehst?“ Da beschwört „Jenny“ munter stampfend ein tiefes platonisches Verhältnis: „Jenny, mein Freund, ich bin immer schön gebräunt, / denn du strahlst mich so nett an, / wie’s nicht mal die Sonne über der Karibik kann.“

Die Songs sind aufwendiger instrumentiert als früher, als Dagobert in kleinen Läden über Elektro-Playbacks sang – bei der aktuellen Tour wird er denn auch erstmals von einer Band begleitet. Auf dem Album schwingen sich Streicher gen Himmel – wie in der Single „Wir leben aneinander vorbei“. Im Titelsong trompetet erst mal ein Elefant, bevor die schmissige Fantasie von der Zivilisationsflucht beginnt: „Denn ich geh nach Afrika, / mit meinem Herz bin ich schon da / und singe mit den Affen: / Uah-uha-haa!“ Und in „Am Natronsee“ gniedelt Miland „Mille“ Petrozza, Kopf der ehrwürdigen Essener Thrash-Metal-Band Kreator, ein schaurig-schönes, endloses Gitarrensolo in den grauen Synthie-Äther.

„Egal, ob Bier oder Bananensaft, / mit dir schmeckt alles immer fabelhaft“

Dagobert hat oft gesagt, er sei hauptsächlich von den Pathos-Rockern Scorpions beeinflusst: „Als ich acht Jahre alt war, habe ich dieses scheiß ,Wind of Change’ gehört und mich zum ersten Mal für Musik begeistert.“ Ist uncool, war aber so, hilft ja nichts. Auf seinem ersten Album klagte er denn auch in einem Lied, er fühle sich „trostlos, alleine / so dass ich sing wie Klaus Meine“ (der Scorpions-Chef). Aber was war das jetzt? Ein Popmusik-Witz? Und was macht Kreator auf einem Dagobert-Album?

Eben das ist Dagoberts Kunst: Gefühle nicht einfach eins zu eins zu besingen, sondern die ganze Sache so komplex und verwirrend und banal zu beschreiben, wie sie ist. Wer singt: „Egal, ob Bier oder Bananensaft, / mit dir schmeckt alles immer fabelhaft“, darf auch „Ich liebe dich“ singen.

Dagobert, als Lukas Jäger in der Schweiz geboren, ist Anfang dreißig und nennt sich selbst „Schnulzensänger aus den Bergen“. Was ein bisschen selbstironisch klingt, aber andererseits schlicht passend. Aktualisiert da einer ganz bewusst und clever das olle Rollenbild des Schlagerbarden? Oder hat sich da tatsächlich, wie es in der Legende zum ersten Album hieß, in fünfjähriger Berghütten-Isolation seine ganz eigene Stimme bloß aus sich selbst (und täglich ein paar Schüsseln Billigreis) heraus erschaffen?

Vielleicht eine Mischung aus beidem. Das neue Album jedenfalls wurde produziert von Markus Ganter, der zuletzt das Album „Hinterland“ des Rappers Casper produzierte sowie bei dem neuen im Mai erscheinenden Tocotronic-Album fürs Sounddesign verantwortlich war. Was zeigt: Dagobert hat sich ein Standing erarbeitet in der deutschsprachigen IndieSzene. Er bietet aber auch das Material dafür. Großer Schmelz, zarter Schmalz, Dagoberts Lieder sind der beste Mitsing-Soundtrack zum Autofahren und zum Alkoholtrinken, zum Schmusen und Schwelgen. Und für Fans sicher auch für Hochzeiten und Beerdigungen („Du bist tot“). Dass Dagobert dabei noch fotogen ist, schadet sicher nicht: groß, schön, schlank, eckig tanzend, gern angetan mit Fantasiefrack oder seltsamer Lederkluft – dafür wurde er 2013 vom Magazin „GQ“ zum „bestgekleideten Schweizer“ gekürt.

Aber vor allem: diese Stimme! Dagobert singt seine präzise simplen Texte mit Schweizer Zungenschlag, mischt retroflexe Rs hinein, lässt die Worte weich werden: „Ich wreute mich zu wrüh“. Es ist ein Glück, dass er trotzdem nicht nach Howard Carpendale klingt.
„Afrika“ ist bei Buback/Universal erschienen. Dagobert spielt am 27. Mai im SO 36.

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