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Kultur: Schön träge

Giant Sand bei der Berliner „Wassermusik“

Von Jörg Wunder

Die Wüste macht träge. Man muss sich seine Kräfte gut einteilen, wenn man nicht vor die Hunde gehen will. Wer wüsste das besser als Howe Gelb? Der Mann aus Tucson, Arizona, ist Mitte 50 und seit über 25 Jahren Kopf und einziges konstantes Mitglied der Wüstenrockband Giant Sand, die den vorletzten Abend der „Wassermusik“-Reihe im Haus der Kulturen der Welt bestreitet.

Gelb ist die Lässigkeit in Person. Vor ausverkauftem Haus zelebriert er mit seinen vier Begleitern die Kunst der anstrengungslosen Unterhaltung. Thøger Lunds Kontrabass und Peter Dombernowskys Besenschlagzeug zuckeln gemütlich vor sich hin, die Orgel von Nikolej Heyman pfeift asthmatisch wie der Wind in der Mojave-Wüste. Anders Petersen und Howe Gelb schraffieren ein wenig auf den Griffbrettern ihrer Gitarren herum, dazu brummelt der Chef mit seiner das Zwerchfell zum Beben bringenden Baritonstimme. Manchmal nimmt das Ganze etwas Fahrt auf wie eine alte Dampflok nach ein paar Extraschippen Kohle. Doch meist strahlt diese tiefenentspannte Gerade-noch-Rockmusik das Temperament einer in der Mittagshitze dösenden Gila-Echse aus.

Das könnte ewig so weitergehen. Vom gleichmäßigen Fluss der Lieder ist das in der subtropischen Saunaatmosphäre auch ohne nennenswerte Tanzambitionen zerfließende Publikum bald derart eingelullt, dass zu Gelbs rhetorischer Jetzt-könnt-ihr-was-fragen-Aufforderung niemand etwas einfällt. Was sollte man den Mann auch fragen? Wie man es schafft, mit so wenig Aufwand eine so hypnotische Musik zu erzeugen? „Was meint ihr, haben wir geübt?“, fragt Gelb, als er drei Texmex-Musiker für einige Songs hinzuholt. Trotz einwandfreien Miteinanders vermutet man spontan, dass auf gemeinsames Üben verzichtet werden konnte. Akkordeon, gestopfte Trompete und Konzertgitarre fügen den ausgemergelten Arrangements zwar neue Klangfarben und ein wenig Hüftspeck hinzu, an der Sprödigkeit ändern die zusätzlichen Instrumente nichts. Höhepunkt des sich mit zwei Zugaben auf gut 100 Minuten dehnenden Auftritts wird das erstaunliche „Increment Of Love“. Mit zwei zusätzlichen Streichern auf zehnköpfige Ensemblestärke angeschwollen, geben Giant Sand dem surrealen Erlebnisbericht über mikroskopische Vorgänge im Menschen – es geht um die Eigenschaften des Erbguts, um Chromosomen, Zellen, Moleküle – einen fulminanten Cinemascope-Sound, in dem die Texturen von vier Gitarren einen psychedelischen Sandsturm entfachen. Die Wüste bebt. Jörg Wunder

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