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Kultur: Schönheit aus Scherben

Lori Hersberger inszeniert betörende Räume in der Galerie Chouakri

Der erste Gedanke: Gut, dass mir das nicht passiert ist. Auf dem Boden der Galerie Mehdi Chouakri liegen Scherben herum, als wäre ein unachtsamer Besucher auf eine der treppenartig geschichteten Platten aus schwarzem Glas getreten. Der Schweizer Lori Hersberger hat sie in den Raum geklemmt – und auch die Scherben selbst verursacht. Das Wissen um diesen absichtlichen Bruch mit der Hochglanzästhetik mildert allerdings nicht die Unsicherheit, mit der man die Installation ohne Titel knirschenden Schrittes umrundet.

Die Architektur dieser Arbeit erinnert entfernt an eine Tempelruine. Eine der weißen Säulen steht, die andere liegt auf dem Glasplateau. Violettes Diskolicht. Und Glasbruch. Merkwürdig mischen sich Künstlichkeit und Katastrophe auch in einem anderen Objekt: Hersberger hat einen 1916 gefertigten Stahlhelm signalrot lackiert, hat ihn auf einem Podest wie eine Designobjekt platziert und mit Milch gefüllt. Die Soldaten des Ersten Weltkriegs waren die Ersten, die man mit Fug und Recht als „Lost Generation“ bezeichnen kann, doch Hersberger verweist auf seinen eigenen Jahrgang, wenn er die Stahlhelm-Arbeit „Generation X“ nennt (4000 Euro).

Der Künstler wurde 1964 in Basel geboren, studierte dort Kunst an der Schule für Gestaltung und erlebte seinen internationalen Durchbruch 1999 auf der Biennale in Venedig. Im Jahr 2001 wurden seine Installationen, Videos und seine Malerei im Museum für Gegenwartskunst Basel unter dem Titel „Day-glo Blues Conspiracy“ gezeigt.

Neo-Pop gets the Blues: Melancholisch eingefärbt ist diese „Generation X“, wie der Schriftsteller Douglas Coupland sie Anfang der neunziger Jahre beschrieben hat: eine Jugend, die den Krieg nicht kennt, dafür in den Abwärtstrend der Sozialsysteme schlittert und für die ökologischen Sünden der Eltern büßt. Ob Hersberger Venedigs Lagune wie während der Biennale ’99 mit schwimmenden Teppichen abdeckt oder weiß lackierte Giftfässer vor einem Neonregenbogen drapiert (auf dem letzten Berliner Art Forum): Natur und Großstadtwirklichkeit spielen in seinen Inszenierungen eine zentrale Rolle. Oft muss man dabei um die Ecke denken, um die Anspielungen wahrnehmen zu können.

Hersbergers Kunst kommt von Künstlichkeit. Auf schwarz gestrichenem Fond hängt eine magentafarben leuchtende, zum leeren Rahmen gebogene Neonröhre. Sie lässt an jene urbane Nacht denken, die mit der Erfindung der Glühbirne zum Tag gemacht wurde („Ghost Rider“, 16 500 Euro). Den Purpurschein reflektiert ein aus weiß lackiertem Aluminium gebogenes „Formteil“, das wie ein abstraktes Landschaftselement an einer schrillgelb gestrichenen Wand steht. Die Leuchtfarbe dient als Surrogat von Sonnenlicht.

Mit dem Medium Malerei hat Hersberger seine Kunst in den vergangenen Jahren noch einmal erweitert. Auf Glasflächen und Asphalt – während verrückter Action-Painting-Motorradperformances – zitierte er Jackson Pollock oder Franz Kline. Bei Chouakri rückt die Installation wieder in den Vordergrund. Hersberger geht ortsbezogen vor. Seine besondere Fähigkeit, einzelne Arbeiten im gegebenen Raum dialogisch zu vernetzen, verblüfft. Zusätzliche Blickachsen erzeugt er durch Spiegel: 140 Einzelflächen sind auf einem wandfüllenden Glasrelief gegeneinander gekippt. Die multiple Struktur dekonstruiert den Raum, andererseits entstehen auch neue Perspektiven. Sogar zerschlagenes Glas kann, so gesehen, eine ziemlich produktive Wirkung haben.

Galerie Mehdi Chouakri, Invalidenstr. 117, Eingang Schlegelstraße 26; bis 12. April, Dienstag bis Samstag von 11–18 Uhr.

Jens Hinrichsen

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