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Kultur: Schoko muss weg

Die Schaubühne zeigt Luk Percevals „Othello“ aus München – in der krassen Textfassung von Feridun Zaimoglu

Das Publikum war aus dem Häuschen, als vor drei Jahren mit dieser „Othello“- Inszenierung die Münchner Kammerspiele wiedereröffnet wurden. Die einen jubelten frenetisch, während sich die anderen die Seele aus dem Leib buhten. Regisseur Luk Perceval hatte den deutschtürkischen Dichter Feridun Zaimoglu beauftragt, eine neue Textfassung zu erstellen, die Shakespeares Drama radikal in das so genannte Heute wuchtete und es dabei in die rhetorische Welt eines Neuköllner Boxstalls verbannte. Der farbige Othello heißt bei Zaimoglu „Schoko“, und sobald Jago, der Bösewicht, auch nur den Mund öffnet, geht es fäkalmäßig original krass zur Sache, weil „Schoko“, der „arschgeile Penner“, die „Fotze“ Desdemona „rammelt“, die doch Jago gern „bespringen“ würde. Also: „Schoko“ muss weg.

Denn die Gesetze auf der Neuköllner Straße sind, wie man weiß (oder Zaimoglu es sich vorstellt), recht einfach: „Ich sach dir Alter“: Entweder man „fickt“ oder „wird gefickt“. In entsprechender Schwarz-Weiß-Ästhetik hat Perceval auch inszeniert. In der Mitte der leeren Bühne liegt ein weißer Flügel, Unterseite nach oben, und wird – um im Bild zu bleiben – von einem schwarzen Flügel begattet. Männer stehen in dunklen Anzügen herum, die Gesichter im Schatten. Trotzdem ist zu erkennen, dass Thomas Thiemes Othello nicht schwarz, sondern weiß ist. Dafür hat Perceval Jagos Frau Emilia mit der farbigen Schauspielerin Sheri Hagen besetzt.

Dazwischen tänzelt Julia Jentsch im weißen Hängerkleidchen und in AdidasTurnschuhen Desdemona als Berlin-Mitte- Göre durch die Leere. Irgendwas muss damals, in München, produktiv zusammengekommen sein, so dass ein hohes Erregungsflirren die Luft elektrisierte. Die kulinarische Shakespeare-Erwartung des Premierenpublikums, die auf die Restwut von Zaimoglus „Kanaksprak“ traf. Die düstere Statuarik der Inszenierung, die von den jazzigen Improvisationen des Star- Pianisten Jens Thomas poetisiert wurden. Die Entdeckung einer jungen Schauspielerin namens Julia Jentsch. Wir wären gern dabei gewesen.

Jetzt wird „Othello“ als Gastspiel an der Schaubühne gezeigt. Niemand buht, alles jubelt. Aber es ist ein seltsamer Jubel. In die Begeisterung mischt sich auch die Routine, mit der man die Erfolgreichen feiert. Luk Perceval ist inzwischen an der Schaubühne Hausregisseur, Julia Jentsch ist ein Star, und Feridun Zaimoglu gilt spätestens seit Veröffentlichung des Romans „Leyla“ als sensibler Hochautor. Den neuen, gewissermaßen veredelten Kontext merkt man auch der Inszenierung an. Sie ist museal geworden, allerdings auf hohem, unterhaltsamen Niveau.

Die deftige Fäkalsprache wirkt keineswegs authentisch – wenn sie es denn jemals war –, sondern wie ein künstlicher Textbeschleuniger, bei dem eine Pointe nach dem Schwanz der vorherigen schnappt. Dementsprechend ölig gibt Wolfgang Pregler den Jago. Mit hinterfotziger Naivität und dem zu großen Jackett eines halbseidenen Maklers kumpelt er sich jovial an Cassio und Othello heran. Ein begnadeter Intrigant und Spieler, immer zu nah und nie zu greifen. Doch wenn er lächelt, blitzt da nicht der Hass des Zukurzgekommenen, sondern nur die Freude am eigenen Raffinement. Thomas Thieme ist Othello als stehendes Fass, erst väterlich, streng, dann wütend, als er von Desdemonas angeblichem Betrug hört, aber nie rasend oder böse, sondern still nach innen lauschend, ohnmächtig beobachtend, wie der Argwohn in Windeseile sein Weltvertrauen frisst.

Perceval hat an dem Stück weniger das Thema Eifersucht interessiert als der Vorgang der Vereinsamung, die Kettenreaktion der Paranoia. Viel Äußerliches wurde deshalb auch gestrichen. Othellos Selbstmord, und ob er Desdemona tötet oder sie ihn schlicht verlässt ob seines Wahns, bleibt offen. Julia Jentsch, die sich kletternd, springend und mit dem Kopf schiebend an Thiemes Massivität abgearbeitet hat, ist zumindest nach einer Umarmung plötzlich von der dunklen Bühne verschwunden. Das ist logisch gedacht: Der Schmerz der Einsamkeit ist natürlich größer, wenn man nicht handelt, bleibt aber meistens Theorie, weil für’s Emotionale weniger die Schauspieler als die flüsternde, glucksende und schreiende Stimme des großartigen Pianisten Jens Thomas zuständig ist.

Der beklemmendste Moment ergibt sich bezeichnenderweise über einen außertheatralischen Bezug. Als Jago Othello die Untreue seiner Frau einflüstert, droht ihm Othello lautstark mit dem Tod, sollte Jagos Behauptung nicht der Wahrheit entsprechen, sondern „eine Rufmordkampagne sein“. Da stockt einem kurz der Atem, wenn man weiß, dass in einigen Zeitungen seit Wochen zeilenstark suggeriert wird, Zaimoglu habe für seinen neuen Roman bei seiner Verlagskollegin Emine Özdamar abgeschrieben.

Weitere Aufführungen am Freitag, Samstag und Sonntag, 20 Uhr.

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