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Kultur: Schreiben und Pflegen: Bruno Preisendörfer über Schnell-, Viel-, Klein- und Großschreiber

Wie viele Zeilen oder Zeichen kann ein Berufsschreiber täglich hervorbringen? Und wie lange dauert es, bis ein Krug, der sich tagtäglich zum Brunnen der Wörter schleppt, an Materialermüdung kaputtgeht?

Wie viele Zeilen oder Zeichen kann ein Berufsschreiber täglich hervorbringen? Und wie lange dauert es, bis ein Krug, der sich tagtäglich zum Brunnen der Wörter schleppt, an Materialermüdung kaputtgeht? Fragen dieser Art lassen sich natürlich nur individuell beantworten. Der eine reißt einen Text mit dreitausend Zeichen runter wie nichts, und es liest sich trotzdem gequält; die andere ringt sich Halbsatz für Halbsatz ab, und das Ergebnis summt geradezu vor Eloquenz und Leichtigkeit; der dritte lacht bitterlich in sich hinein, während er unter Qualen einen unsterblichen Satz nach dem anderen aus dem harten Holz der Sprache schnitzt. Dieser Dritte ist natürlich Kafka, und mit dem wollen wir journalistischen Wasserträger uns sowieso nicht messen. Wir sind schon zufrieden, wenn es uns gelingt, unser Tagespensum an Texten zwar mit heißer Nadel, aber ohne Klischees zu stricken, was uns gerade in diesem Augenblick wieder einmal nicht gelungen ist, denn das "Stricken mit heißer Nadel" ist eben ein solches. Überhaupt kann man sich (und die Leser) fragen: "Tägliche Schreibpflicht und Pflege der Sprachkultur - geht das zusammen?" Die Frage wird morgen um 19 Uhr von Jana Simon, regelmäßige Autorin dieser Zeitung, in der Berliner Stadtbibliothek (Raum 334) aufgeworfen. Bei dieser Gelegenheit lässt sich bestimmt viel erfahren über Lust und Frust (sehen Sie, schon wieder eine Floskel) des journalistischen Schreiballtags. Was aber die Beantwortung der Frage angeht, die ist leicht und hat bloß vier Buchstaben.

Die problematische Sache mit dem Schreiben und Pflegen lässt sich freilich auch auf die Literatur anwenden. Ich erinnere an Goethes gereimte Warnung vor herzlosem babylonischem Bücherauftürmen in der letzten Kolumne. Der heutige Satz der Woche, er stammt von einem der berühmtesten Reporter unserer Zeit, drückt das Problem prosaisch aus: "Es werden keine Bücher mehr geschrieben. Jeder versucht, einen Bestseller zu schreiben."

Jetzt sei noch ein Triptychon an Mittwochsveranstaltungen aufgeschlagen: Um 20 Uhr liest im Literarischen Colloquium Brigitte Kronauer, die seit dem Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus", ihrem Debüt von 1980, als eine Fürstin sprachlicher Genauigkeit gilt. Ihr neuer, noch unveröffentlichter Roman heißt "Teufelsbrück" und erzählt neun Abende mit Maria. Auf dem Podium sitzen neben Brigitte Kronauer die Kritikerin Sibylle Cramer und der Kritiker Hermann Wallmann. Moderiert wird das Zusammentreffen von Liane Dirks.

Wer es gerne mit Ambiente mag, sei auf eine Veranstaltung im "Kaiserlichen Treppenhaus" des Berliner Doms hingewiesen. Um 18 Uhr 30, ebenfalls heute, trägt Dorothea Moritz Texte von Hilde Domin und Ilse Aichinger vor. Am Klavier sitzt Harald Berghausen. Die Lesung wird morgen um 15 Uhr 30 wiederholt.

Im Haus der Kulturen der Welt gibt es im Rahmen der "Entwürfe 2000" heute ab 20 Uhr einen von Lothar Müller moderierten Abend mit dem Schriftsteller Dzevad Karahasan. Er wurde 1953 in Duvno geboren, das damals jugoslawisch war und heute zu Bosnien-Herzegowina gehört. Karahasan verließ 1993 das Land. Inzwischen lebt er abwechselnd in Graz und in Sarajevo, wo er als Dramaturg des Nationaltheaters arbeitet. In seinem Romanessay wird die Titelfigur Sara alias Serafina zu einer Allegorie der Stadt Sarajevo, im Inneren zerrissen und von außen zerstört. Einst entging Sara im Unterschied zu ihrer Freundin einem Auschwitztransport, weil sie sich in Serafina umtaufte. Nun flieht ihre Tochter als Christin aus der Stadt und lässt ihren moslemischen Verlobten zurück.

Aus der Serie:\"Babel & Co \"

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