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SCHREIB Waren: Asphalt, Gewalt und Straßenspülung

In der letzten Woche ging es an dieser Stelle um menschliche Ausscheidungen, in dieser Woche um einen Ort, an dem nicht nur sie in großer Verdichtung auftreten: in großen Städten. Karl Kraus verband schon 1911 beides: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll, Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung und Warmwasserleitung.

In der letzten Woche ging es an dieser Stelle um menschliche Ausscheidungen, in dieser Woche um einen Ort, an dem nicht nur sie in großer Verdichtung auftreten: in großen Städten. Karl Kraus verband schon 1911 beides: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll, Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung und Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ Große Städte provozieren nicht nur moderne Infrastruktur, sondern bisweilen auch große Literatur, Großstadtromane eben. Mehrheitlich gut geratene Exemplare hat Ulrich Peltzer zu dieser Gattung beigetragen, zuletzt mit „Teil der Lösung“, einen bemerkens- und vor allem lesenswerten Berlin-Roman. Er beginnt am Potsdamer Platz und erzählt ambitioniert über die Entgrenzung von Öffentlichkeit und Privatheit: Wer sich an Orte wie das Sony Center begebe, logge „sich in ein System ein, das ihn beobachtet, kategorisiert, taxiert“. Dass der Autor dabei keinem handelsüblichen Realismus frönt, kann man nun in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen nachlesen. Sie tragen den Titel „Angefangen wird mittendrin“, und nächsten Montag stellt Peltzer sie im Gespräch mit den Literaturkritikern Richard Kämmerlings, Insa Wilke und Hubert Winkels vor, um 20 Uhr im Collegium Hungaricum Berlin (Dorotheenstraße 12).

Untrennbar mit Großstadtliteratur verbunden, ist auch das Thema Gewalt. Zu Beginn von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ etwa wird Franz Biberkopf aus dem Knast entlassen, wo er ein paar Jahre wegen Totschlags einsaß. Mittlerweile wird derartiges Verhalten als „gewaltbereit“ bezeichnet, und das wiederum spielt eine wichtige Rolle in Matt Riis’ Debütroman „Jakub“. Dessen jugendlicher Protagonist ist gleichermaßen verschlossen wie aggressiv und zerstört scheinbar grundlos nicht nur seine Bettwäsche von Hertha BSC. Erst nach und nach werden die Hintergründe klar. Dabei setzt sich die Geschichte wie ein Puzzle aus Handlungen, Gesprächen, Gedanken, Träumen, Bildern und Sichtweisen verschiedener Figuren zusammen. Am Mittwoch um 20 Uhr liest der Autor, der im wirklichen Leben als Pädagoge mit schwierigen Jugendlichen arbeitet, im Literarischen Salon von Britta Gansebohm (BKA, Mehringdamm 34) aus seinem Buch.

Damit der literarische Großstadtexpress nicht in Berlin versandet, sei noch auf eine Veranstaltung hingewiesen, in der eine ganz andere Metropole im Mittelpunkt steht. Am Freitag um 20 Uhr präsentiert Karl Schlögel sein gerade neu aufgelegtes Buch „Moskau lesen. Verwandlungen einer Metropole“ im Buchladen Bayerischer Platz (Grunewaldstr. 59). Wenn jemand die Stadt als Buch betrachtet, kann man fast sicher sein, dass er auch eines darüber schreibt.

Thomas Wegmann

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