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SCHREIB Waren: Hose voll

Es gibt Dinge, bei denen man nicht weiß, ob man über sie sprechen möchte. Weil sie einfach zu unappetitlich sind, um sie in den Mund zu nehmen.

Es gibt Dinge, bei denen man nicht weiß, ob man über sie sprechen möchte. Weil sie einfach zu unappetitlich sind, um sie in den Mund zu nehmen. Auch wenn man angeblich als Kind gern damit gespielt hat. Und sogar stolz auf sie gewesen sein soll, weil die eigenen Exkremente, so jedenfalls Sigmund Freud, das erste Kunstwerk waren, das wir zustande brachten. Oder zumindest als kleine Menschen für ein solches gehalten haben.

Es gibt Fälle, da lohnen sich Erwachsenwerden und Zivilisation. Eine innerliche Distanz und eine funktionierende Klospülung können durchaus als Errungenschaften im Umgang mit gewissen Körperausscheidungen gelten. Auch wenn Thomas Mann sich in seinen Tagebüchern geradezu inbrünstig immer wieder der eigenen Verdauung gewidmet hat. Die nämlich war zu seinem Leidwesen durch chronische Hartleibigkeit gehemmt. Weswegen ihm das, was Helge Schneider zurzeit allüberall annonciert, nämlich die „Buxe voll“ zu haben, womöglich als wünschenswerter Zustand erschienen wäre.

Wir wissen es nicht. Wir wissen aber, dass Florian Werner – Schriftsteller, Journalist und Musiker in der Gruppe Fön – ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben hat: „Dunkle Materie. Die Geschichte der Scheiße“. Und er wiederum weiß, dass der Mensch anhand seiner Ausscheidungen die Grammatik des Ekels, der Hygiene und des Wohlgeruchs erlernt. Ekel ist eben nicht Natur, Ekel ist Kultur. Am Donnerstag können Sie an seinem Wissen partizipieren. Um 20 Uhr stellt er sein Buch, das übrigens im anspruchsvollen Hanser-Verlag erschienen ist, in der Clinker-Lounge vor (Backfabrik, Saarbrücker Str. 36-38).

Kultur steht auch bei der französischen Literaturtheoretikerin, Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Julia Kristeva im Mittelpunkt, wenn auch auf weniger despektierliche Weise. „Existiert eine europäische Kultur? Reflexionen über Ränder und Zentren“ lautet der Titel ihres Vortrags (in französischer Sprache mit Simultanübersetzung), den sie am Sonntag um 11.30 Uhr im Rahmen der Reihe „Berliner Lektionen“ im Renaissance-Theater (Hardenbergstr. 6) halten wird.

Um menschliche Hinterlassenschaften der ganz anderen Art geht es schließlich in Uwe Timms neuer Novelle „Freitisch“, die er Mittwoch um 20 Uhr in der Akademie der Künste (Pariser Platz) vorstellt: Nach Jahrzehnten treffen sich zwei Männer zufällig am Mare Balticum wieder, die in den 1960er Jahren in München zusammen studiert haben. Nun müssen ein pensionierter Lehrer, der ein kleines Antiquariat führt, und ein aktiver Investor, der eine Mülldeponie bauen will, ihren gemeinsamen Erinnerungen auf die Sprünge helfen. Was bleibt? Dabei spielt übrigens Arno Schmidt eine nicht unerhebliche Rolle, zu dessen Grundstück sie damals pilgerten. Von ihm stammt der schöne Satz: „Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt: ich war oft genug in Hannover.“ Das sind doch Dinge, über die man sprechen kann.

Thomas Wegmann

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