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Kultur: Schule Is It!

Hubertus Siegerts Dokumentarfilm über ein Berliner „Klassenleben“

Wertedebatte, PISA, Verwahrlosung bei den Jugendlichen, neue Unterschichten: Auch im Dokumentarfilm haben pädagogische Sujets derzeit Konjunktur. Nicolas Philiberts anrührendes Porträt einer aus der Zeit gefallenen französischen Zwergschule („Sein und Haben“) war einer der größten Dokfilmerfolge der letzten Jahre. „Rhythm Is It!“ feiert die Begegnung Berliner Jugendlicher mit Disziplin und Strawinsky und läuft fast ein Jahr nach der Premiere immer noch in zehn Berliner Kinos. So unterschiedlich die Filme sind: Hinter beiden steckt auch ein Stück pädagogische Allmachtsfantasie. Und beide gewinnen ihre Energie aus Extremsituationen, die mit dem Alltag nur wenig zu tun haben.

Genau damit beschäftigt sich „Klassenleben“ von Hubertus Siegert („Berlin Babylon“): mit dem regulären deutschen Schulalltag. Eine ganz normale Klasse ist die 5d der Fläming-Grundschule in Berlin-Schöneberg allerdings nicht. Sie ist eine integrative Förderklasse, das heißt: Unter den zwanzig Schülern sind vier Kinder mit Behinderungen unterschiedlicher Art. Unterrichtet wird in Kleingruppen, die die unterschiedlichen Fähigkeiten der Einzelnen berücksichtigen. Beschaulich geht es dabei nicht zu, warmherzig und offen schon. Klassenlehrerin Gudrun Haase packt Probleme schon im Anflugstadium bei den Hörnern, und auch die beiden Pädagoginnen und diversen Fachlehrer verstehen sich auf Strategien der Konfliktlösung. Mit Erfolg, wie die Bilanz der Schule zeigt.

Pädagogischer Standard ist der integrative Ansatz leider nicht. Deshalb waren die Lehrer sofort einverstanden, als Siegert an sie herantrat, auch wenn die Dreharbeiten unvermeidliche Störungen des Schulbetriebs verursachen würden. Das Ergebnis gibt ihnen Recht: „Klassenleben“ eröffnet dem Zuschauer eine außergewöhnlich lebendige Schulwelt. Siegerts behutsam inszenierter Film beobachtet, wie die Kinder zwischen Klassenzimmer und Schulhof agieren, begleitet Unterricht, Ausflüge und Notenvergabe. Dabei interessiert die Integration der behinderten Kinder bald weniger als das soziale Lernen zwischen Geometrie und Rollenspiel. Erstaunlich auch, mit welch emotionaler Reife die Elfjährigen immer wieder ihre eigene Situation reflektieren.

Dabei vermeidet die Regie sentimentale Niedlichkeiten, selbst in Situationen, die dazu verführen könnten. „Klassenleben“ nimmt seine Protagonisten ernst und überzeugt durch die Integrität und Demut, mit der das Filmische hinter den Akteuren zurücktritt. So viel Anstand steckt an: Die Popgruppe Abba hat die – sonst unerschwinglichen – Lizenzrechte für den Schlusssong „Dancing Queen“ fast umsonst erteilt.

Broadway, fsk, Hackesche Höfe

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