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Zwölf Tonnen Himmelsvogel. Ouyang Jianghes Langgedicht begleitet Xu Bings "Phoenix"-Skulptur aus Schutt und Metallschrott. (zur Zeit in Venedig zu sehen).

© dpa

Zwei Zeitschriften für chinesische Literatur: Schutt ist unser Dünger

Eine neue deutsche Zeitschrift für chinesische Literatur: "Leuchtspur" ist die deutsche Ausgabe der "Volksliteratur". Sie tritt in staatlichem Auftrag der Volksrepublik an, lebt aber von großer Stimmenvielfalt - so wie das englischsprachige "Pathlight".

Von Gregor Dotzauer

Der Mensch, wusste schon der chinesische Lyriker Du Fu, ist nur ein Spielball zwischen den Sphären irdischer und überirdischer Kräfte. „Hat mir mein Dichten etwas eingebracht?“, fragt er in einem berühmten tangzeitlichen Achtzeiler: „Wer alt und krank ist, verliert sein Amt. / Wie gleiche ich, des Windes leichte Beute, / der einen Möwe an des Himmels Rand!“ Wie könnte es also im Rahmen der klassischen chinesischen Kultur nichts bedeuten, dass die englischsprachige Ausgabe der chinesischen Zeitschrift „Volksliteratur“ der Erde und die deutsche dem Himmel zugeordnet ist?

„Pathlight“ bezeichnet ein Licht am Wegesrand, „Leuchtspur“ dagegen ein astronomisches Phänomen. Doch ob sich der Blick nun zum Boden senkt oder zum Horizont erhebt: Die Titelwahl ist wohl ein kurioser Zufall, der sich nur durch die Geschichte der beiden Zeitschriften ein tieferer Sinn verleihen lässt. Die englische Ausgabe bestellt seit immerhin 2011 das Feld der neuen chinesischen Literatur, während „Leuchtspur“ erst seit wenigen Tagen die kulturelle Stratosphäre erhellt. Jedenfalls sind beide buchdicken Magazine unter dem Dach der Pekinger Foreign Languages Press (www.flp.com.cn) vereint. Sie haben das gleiche Layout. Und sie schöpfen aus den Vorräten einer Zeitschrift, die seit ihrer Gründung im Jahr 1949, einen knappen Monat nach Maos Ausrufung der Volksrepublik, ebenso heftigen Veränderungen unterworfen war wie das Land selbst.

"Leuchtspur" lässt sich momentan nur gedruckt beziehen

Dass sie in unmittelbar staatlichem Auftrag antritt, sollte niemanden abschrecken. Die Vielfalt der Stimmen und Töne ist erstaunlich, und wenn „Leuchtspur“ in der Auswahl der Autoren auch noch sehr viel zeitgenössischer werden kann, so muss man ihr jedenfalls ein Wachsen und Reifen zugestehen, das „Pathlight“ schon üben konnte.

Dann sind vielleicht, wie im aktuellen Heft, auch thematische Schwerpunkte wie „Nature“ möglich. Dann gibt es hoffentlich auch einen elektronischen Vertrieb, wie ihn „Pathlight“ via Kindle und iBooks gefunden hat: „Leuchtspur“ lässt sich momentan nur gedruckt über den Webshop des Wiener Löcker Verlags beziehen. Und doch sind der Entwicklung im deutschsprachigen Raum andere Grenzen gesetzt.

Eric Abrahamsen, der amerikanische Redaktionsleiter von „Pathlight“, gehört zu einer weit vernetzten Gruppe literarischer Übersetzer und Buchvermittler, die sich seit 2007 zu Paper Republic (https://paper-republic.org) zusammengeschlossen hat, einem Forum, das auch jenseits der „Volksliteratur“ neugierig ist. Auf ihrer Website, die das jüngste „Pathlight“ als Gratis-PDF anbietet, stellen sie noch bis kommenden Juni allwöchentlich neue chinesische Prosa und Lyrik vor.

"Leuchtspur"-Chefin Gong Yingxin leitet das Pekinger Buchinformationszentrum

Von so viel publizistischem Schwung kann Gong Yingxin, die „Leuchtspur“-Chefin auf deutscher Seite, einstweilen nur träumen. Im Hauptberuf leitet sie das von der Frankfurter Buchmesse betriebene Pekinger Buchinformationszentrum, das seit 1998 nach beiden Richtungen hin vermittelt.

Mithilfe von elf Übersetzern hat sie nun sechs Dichter und zwölf Erzähler ins Deutsche gebracht. Unter den Poeten ist die 1956 in Harbin geborene Li Qi die interessanteste. Ihr Gedicht „Wir und Ich“ intoniert schon im Titel eine Spannung zwischen Kollektiv und Individuum, an der auch das hyperkapitalistische China noch laboriert: „immer wieder sind es andere leute / die für mich stehen darunter ich / (…) / ich bin eine schallende repräsentantin / wir sind voller wir glauben hundertfach / wir die ganze besetzung es gibt keinen widerspruch“. Und doch wirkt das idyllische Gros der Gedichte aus der Wirklichkeit gefallen – im Gegensatz zur Prosa.

Mit Lin Bai, 1958 in Guangxi geboren, stellt sich die prominenteste Vertreterin eines dezidiert weiblichen Schreibens mit oftmals lesbischen Untertönen vor. „Hongyans Bericht“ leiht einer Prostituierten die Stimme, die sich im Lauf eines fantastisch-grotesken Erinnerungsprozesses Namen und Alter mühsam zurückerobern muss. Han Shaogong wiederum, 1953 in Hunan geboren, der namhafteste Repräsentant der Xungen-Bewegung, die in den achtziger Jahren eine Literatur der Wurzelsuche betrieb, beschäftigt sich in „Die Prophezeiung am Nordtor“ auf wunderlich archaisierende Weise mit der Todesstrafe und den Schrecken eines schwertschwingenden Henkers.

Beide sind bedeutende Autoren, doch ihre Strahlkraft erschließt sich erst, wenn man sich für den kulturellen Kontext interessiert, in dem sie agieren. Das heißt nicht, ihnen eine Universalität aufzubürden, die nichts anderes als westliche Leseerwartungen meint. Es geht eher um die Frage, mit welchem Bewusstsein sie selbst schreiben und wie eine Mischung aus Weltoffenheit und Ignoranz gegenüber jedem Publikum ihrer Sache dient.

Ein faszinierendes Beispiel ist der 1956 geborene Dichter Ouyang Jianghe, der schon zweimal in „Pathlight“ vertreten war. Er gehört zu den „Fünf Meistern von Sichuan“, Dichtern, die das Undurchdringliche der „Nebel“-Dichter um Bei Dao und Yang Lian mit einer eigenen Hermetik beerbten. Ouyang bewundert die Tang-Poesie von Du Fu, Li Bai und Li Shangyin, liest aber auch mit Begeisterung Ezra Pound und Wallace Stevens.

Zu Quyang Jianghes Gedicht "Phoenix" gibt es zwei Riesenkulpturen aus Metallschrott

Beides mischt sich in der erklärten Absicht, an den Grenzen der chinesischen Sprache zu rütteln und dem konsumistischen China etwas entgegenzuhalten. In seinem Langgedicht „Phoenix“, das Xu Bings gleichnamige skulpturale Installation begleitet, nimmt er einerseits den Modernisierungswahn der letzten Jahre auf und greift andererseits auf paradoxe daoistische Denkfiguren zurück. Xu baute aus Abrissschutt und den Hinterlassenschaften von Wanderarbeitern zwei jeweils zwölf Tonnen schwere Riesenvögel, die im Pekinger World Financial Center gezeigt werden sollten, bevor sie 2014 in der New Yorker Kathedrale St. John the Divine ausgestellt wurden - derzeit sind sie auf der Kunstbiennale in Venedig zu sehen.

Auch Ouyangs Gedicht ist eine wilde Assemblage. Sie ist für ihn aber auch die Grundlage seiner Widerständigkeit. In einem Interview gibt er Auskunft über das jahrelange Schweigen, das „Phoenix“ vorausging: „Langgedichte müssen sich um das Undefinierbare bemühen, im Versuch, der Kommerzialisierung von Sprache zu widerstehen. Die Sprache der Medien, der SMS und Mikroblogs betreibt diese Kommerzialisierung.“

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