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Kultur: Schwarze Tränen

Den Tod tanzen: Emanuel Gat nähert sich Mozarts Requiem im Hebbel am Ufer

Von Sandra Luzina

Beim Festival „Tanz im August“ zählte Emanuel Gat zu den Entdeckungen des Jahres. Der israelische Choreograf zeichnet sich durch eine fast schon altmodische Tugend aus: Er entwickelt seine Choreografien in Auseinandersetzung mit berühmten Klassikern. Kein Wunder, denn Gat studierte zunächst Musik an der Rubin Academy in Jerusalem und wollte ursprünglich Dirigent werden.

Bei der Auswahl der Musik ist er unerschrocken, wie das umjubelte Berliner Gastspiel „K626“ im Hebbel am Ufer zeigte: Seine neue Produktion ist eine Annäherung an Mozarts mythenumranktes Requiem. Gats Choreografie orientiert sich an den 13 Basisfragmenten der unvollendeten Ursprungskomposition. Fragmente: Der Tanz beginnt, noch ehe die Musik erklingt, und setzt sich erst fort, wenn die letzten Takte längst verklungen sind. Und bei einer längeren Unterbrechung der Einspielung kippt das Geschehen ins Heillose: Ohne musikalischen Echoraum wirken die Tänzer verstört, die Bewegungen wie kalt seziert. Der Zusammenhalt der Gruppe wird aufgesprengt.

Dabei ist das starke Kollektiv das Einprägsamste an Gats Choreografie. Die Leiber dicht zusammengeballt, drängt es sich wie von einer Energie getragen vorwärts. Dabei bewegen sich die Tänzer nie völlig identisch. Das weiche Spiel der Arme fügt sich zu verschlungenen Mustern. Dabei lässt Gat durchaus Raum für individuellen Ausdruck. Immer wieder löst sich eine Frau aus dem Gruppenorganismus zu kurzen, markanten Soli, mal scheu und introvertiert, mal selbstgewiss und verführerisch.

Ursprünglich hatte Emanuel Gat sich für eine rein weibliche Besetzung entschieden. Für den Auftritt in Berlin hat er aber eine Umbesetzung vorgenommen: Drei Männer gehören nun dem Ensemble an. Für die Qualität des Stücks spielt das keine Rolle. Denn Gat geht es nicht um „weiblichen“ oder „männlichen“ Tanz, sondern um die Erfahrung der Sterblichkeit. Auch die Männer strahlen eine dunkle Eleganz aus; wie die Frauen tragen sie schmale, schwarze Kleider. Strenger Ernst verbindet sich mit einer erdigen Sinnlichkeit. Immer wieder sind Momente der Trauer und der Erschütterung zu spüren. Man erkennt Gesten des Bekreuzigens und das Wegwischen unsichtbarer Tränen. Todesgewissheit verbindet sich mit einem Elan, der die Akteure und das Publikum mitreißt.

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