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Kultur: "Schwarzer Peter": Von Österreich nach New Orleans: Peter Henisch erzählt

Peter hat schlechte Karten. Er wird als außerehelicher Sohn einer leichtlebigen Straßenbahnschaffnerin und eines flüchtigen farbigen Besatzungssoldaten geboren.

Peter hat schlechte Karten. Er wird als außerehelicher Sohn einer leichtlebigen Straßenbahnschaffnerin und eines flüchtigen farbigen Besatzungssoldaten geboren. Er ist nicht völlig schwarz, aber schwarz genug, um im Wien des Jahres 1946 aufzufallen. Der Klappentext weckt die schlimmsten Erwartungen. Geschichten, die so anfangen, pflegen böse weiterzugehen und böse zu enden: für die Figur, die zum Opfer auserkoren ist, für den Leser, dem der traurige Gang der Handlung vorhersehbar scheint.

Aber Peter Henisch, der sich nach "Pepi Prohaska Prophet" und "Die kleine Figur meines Vaters" mit "Schwarzer Peter" als großes episches Talent der österreichischen Literatur nachhaltig in Erinnerung bringt, stattet seinen Protagonisten nicht nur mit der Fähigkeit aus, das Blatt zu wenden, sondern er belebt beiläufig sogar die Tradition des klassischen Bildungs- und Entwicklungsromans neu, der in Goethes "Wilhelm Meister" sein pathetisches Motto gefunden hat: "Des Menschen größtes Verdienst bleibt wohl, wenn er die Umstände so viel als möglich bestimmt und sich so wenig als möglich von ihnen bestimmen lässt."

Der Roman einer Selbstfindung beginnt mit der unzeitgemäßen Einsicht des Ich-Erzählers, dass ein Kind durch Schaden klug wird, wenn der Schaden nur nicht allzu groß ist: In einer frühen Erinnerung hockt der Fünfjährige auf der Höhe der Erdberger Lände am Ufer des Donaukanals, um sein Holzschiffchen an einem Bindfaden stromabwärts treiben zu lassen. Weil aber der Bindfaden kein Bindfaden ist und richtige Hanfschnüre in den kargen Jahren nach dem Krieg eine Seltenheit sind, weicht der Papierspagat im Wasser auf und das Schiffchen "an dem meine Seele hing", treibt - für das Auge kleiner und kleiner werdend - flußabwärts davon. Die robuste Mutter, "eine ausgesprochen fesche Frau in ihrer tailliert geschnittenen Schaffnerinnenuniform", die das verweinte Kind nach der Heimkehr mit dem Hinweis zu trösten sucht, dass das verlorene Spielzeug unterwegs ins Schwarze Meer sei, gibt ihr Bestes.

Aber sie kann den Vater nicht ersetzen, der in der Lage gewesen wäre, ihm die Welt und die Wasserempfindlichkeit von Papierfäden zu erklären. Und die vorübergehenden so genannten Onkel verfügen nicht über den Schlüssel zum Herzen des spröden Kindes. Nach der heiligen Kommunion und als Folge des 1955 unterzeichneten Staatsvertrages kehren die letzten Kriegsgefangenen aus den russischen Lagern zurück. Unter ihnen ein ausgemergelter Mann namens Ferdl, der plötzlich in der Tür steht, mit offenem Mund den in seinem Nest untergeschlüpften dunkelgefiederten Kuckuck bestaunt, und behauptet, der Mann seiner Mutter zu sein.

Ferdl kommt und bleibt und weil der Krieg ihn dünnhäutig hat werden lassen, nähert er sich dem personifizierten Fehltritt seiner Ehefrau mit einer Bedächtigkeit und Behutsamkeit, die ihm eben jenes Maß an Anerkennung und Liebe einträgt, das er dem Murl - hochdeutsch: Mohren - zu geben vermag. Aus der kurzen Spanne, die den beiden zur Verfügung steht, schöpft der Junge alles, was er für die Meisterung seines Lebens braucht: Mut, Augenmaß und vor allem eine filigrane Technik der Ballführung, die ihm später den Ruf einer "schwarzen Perle" in der Jugendabteilung des Erstligisten Admira Wien eintragen wird.

Der Wahlvater Ferdinand, "in dessen grauen Augen eine Ferne war, aus der er niemals zurückfinden sollte", gerät in den Sog seines Kriegstraumas und ertränkt sich in der Donau, die am Tag des Leichenfundes für den streunenden Heranwachsenden den Rest ihrer legendären Bläue eingebüßt hat. Die Versuchung, die Geschichte des "Schwarzen Peters" Kapitel für Kapitel vor dem Leser auszubreiten ist deshalb so groß, weil der Autor sich und seine Hauptfigur mit einer Verliebtheit versieht, die in der allgemeinen Düsternis deutschsprachiger Kindheitsrekonstruktionen ihresgleichen sucht: Über 600 Seiten schmiedet ein "ziemlich weißer Neger" sein Glück, das ihm am Ende eine Existenz als Barpianist in New Orleans beschert. Und der plaudert mit einem Glas Southern Comfort so locker vom Hocker, dass man ihm ewig und drei Tage zuhören möchte.

Günter Franzen

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