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Kultur: Scratch Nights am Halleschen Ufer

Sie wurden dem Kultursenator von der Findungskommission um Ivan Nagel als neuer Intendant des Hebbel Theaters vorgeschlagen, der das Haus zu Beginn der übernächsten Spielzeit von Nele Hertling übernehmen soll. Sollten Sie zum Intendanten ernannt werden, können Sie nicht einfach eine vorhandene Struktur fortsetzen.

Sie wurden dem Kultursenator von der Findungskommission um Ivan Nagel als neuer Intendant des Hebbel Theaters vorgeschlagen, der das Haus zu Beginn der übernächsten Spielzeit von Nele Hertling übernehmen soll. Sollten Sie zum Intendanten ernannt werden, können Sie nicht einfach eine vorhandene Struktur fortsetzen. Sie müssten das Theater neu erfinden. Wie wollen Sie das machen?

Das Hebbel Theater soll mit den beiden kleineren Bühnen in unmittelbarer Nachbarschaft, dem Theater am Halleschen Ufer und dem Theater am Ufer, zur so genannten Ufer GmbH fusioniert werden. Die Chance dieser drei Bühnen ist, dass man das Theater stärker als bisher als einen Produktionsort sieht und eine andere Durchmischung von Berliner Gruppen, deutschsprachigen und internationalen Theatermachern zustande bringt. Im Moment ist das Hebbel Theater im wesentlichen ein reines Gastspieltheater für die internationale Szene. Was ich vorhabe, ist ein ähnlicher Ansatz wie bei „Theater der Welt“. Dort gab es auf der einen Seite Gastspieleinladungen prominenter internationaler Gruppen. Auf der anderen Seite erfindet man Projekte, die im lokalen Zusammenhang eine Spezifik haben. Das waren Projekte, die versucht haben, so etwas wie einen anderen Blick auf die Städte zu werfen. Schließlich hat das Hallesche Ufer ja eine glamouröse Vergangenheit, was Neuanfänge betrifft.

Das hieße übertragen auf das Hebbel Theater, man reagiert darauf, dass das Theater in Kreuzberg steht und nah am neuen Szeneviertel Friedrichshain ist?

Das ist ein Aspekt, der mir wichtig wäre - dass man das soziale Umfeld, in dem das Theater liegt, erforscht. Die soziale Geografie ist ja oft überraschender als man denkt. Man könnte darüber nachdenken, ob man türkische Migranten, die in Kreuzberg wohnen, dazu bringen kann, ihre Geschichten zu erzählen. Die türkische Community von Kreuzberg und das deutsche Berlin reden ja relativ wenig miteinander. Theater ist letztendlich eine Art Treffpunkt. Bei Berliner freien Gruppen, die jetzt im Theater am Halleschen Ufer auftreten, fände ich es klasse, wenn es manchmal andere Präsentationsformen gibt. Das Battersea Arts Centre in London zum Beispiel präsentiert Londons freie Gruppen in so genannten Scratch Nights. Jede Gruppe stellt in zehn Minuten mit einem Szenenausschnitt ihr neues Projekt vor und die Theaterleitung und das Publikum entscheiden zusammen, welches Projekt weitergeführt werden soll. Ich habe keine Ahnung, ob so etwas in Berlin funktionieren könnte, aber ich finde diesen Ansatz interessant.

Das Hebbel Theater war gegen die Berliner Off-Szene immer weitgehend abgeschottet, die hatte ihren Ort am Halleschen Ufer. Wollen Sie das durchmischen?

Wenn die drei Häuser zusammenkommen, wäre es Quatsch, neben dem Festspielhaus und dem Haus der Kulturen der Welt drei weitere Bühnen ausschließlich mit internationalen Produktionen bespielen zu wollen. Die drei Bühnen haben nur einen Sinn, wenn man die Arbeit mit der freien Szene, mit Tanz und der Auflösung von Genres weitertreibt. Man braucht ein Label für die drei Häuser, aber jedes sollte sein Profil haben. Sicher ist das Hallesche Ufer für Tanz günstiger als das Hebbel Theater. Aber ich mag den Plüschrahmen des Hebbel Theaters sehr, auch für Tanz. So ein Rahmen ist etwas, woran eine bestimme Fantasie ansetzen kann, um sich dagegen zu wehren. Das Theater am Ufer sehe ich als Produktionsort und als Möglichkeit der intimen Präsentation. Ich schätze Nele Hertlings Erfindung, das Festival „Tanz im August“, sehr und wäre glücklich, wenn es weiter am Hebbel Theater bliebe.

Wo liegen beim Internationalen Programm die Unterschiede zwischen dem, was Sie im Hebbel Theater vorhaben und dem Programm der Festwochen oder des Hauses der Kulturen der Welt?

Ich glaube, dass im Moment weder die Festwochen noch das Haus der Kulturen der Welt für die eigene Arbeit Berlin als einen Ort der Untersuchung wählen. Es spricht ja nichts dagegen, Leute aus New York oder Istanbul an dem Versuch, Berlin zu untersuchen, zu beteiligen. Dazu kommen zwei ganz pragmatische Unterschiede. Das Hebbel Theater ist der einzige Ort, der das ganze Jahr über zur Verfügung steht. Es kann sich zeitlich sehr flexibel in den Tourneeplan integrieren, wenn aufregende Theatergastspiele in Europa unterwegs sind. Unser Kapital ist, dass man in diesem neuen Theaterverbund drei Bühnen hat. Man kann internationalen Künstlern, die hier produzieren wollen, acht Wochen lang eine Bühne für Proben zur Verfügungstellen. Dann denke ich, dass das Hebbel Theater anfangen sollte, mit einer anderen, neuen Generation von talentierten Theatermachern zu arbeiten. Ich bin ja durch meine Arbeitsbiografie als Berufsjugendlicher verschrieen. Das will ich fortsetzen. Man muss versuchen, spannende Leute zu finden und mit denen zu arbeiten.

Schon vor Ihrer Nominierung durch die Findungskommission galten Sie als einer der wenigen Theaterprofis, denen man zutraute, das Hebbel Theater neu zu beleben. Die entscheidende Frage bei Ihren Vertragsverhandlungen wird sein: Sind Ihre Pläne finanzierbar?

Theater am Ufer und das Theater am Halleschen Ufer haben jetzt praktisch keine eigenen Produktionsgelder. Das Hebbel Theater ist unterfinanziert. Ich denke, wenn man mit Herrn Flierl die Kalkulationen durchgeht und dann sieht, dass man bestimmte Gelder braucht, um diese Häuser sinnvoll betreiben zu können, dann wird der Senator auch dafür kämpfen, dass man diese Gelder bekommt. Was man existenziell braucht, um mit diesen Theatern in Bewegung zu kommen, liegt etwa eine halbe Million Euro über den bisherigen Zuwendungen für die Theater. Natürlich geht es Berlin finanziell beschissen. Aber man muss für das Hebbel Theater und die beiden anderen jetzt zu einer anständigen Grundsituation finden, wenn die Häuser eine Chance haben sollen. Es nützt niemandem, wenn man die Häuser zu falschen, unrealistischen Bedingungen übernimmt und nach neun Monaten am Ende ist.

Die Vorbereitung einer Intendanz braucht in der Regel einen Vorlauf von ungefähr einem Jahr. Bis wann muss die Berliner Kulturpolitik über die neue Intendanz der Ufer-GmbH entschieden haben, damit der Nachfolger Nele Hertlings sein erstes Programm seriös planen kann?

Bis spätestens Ende September.

Das Gespräch führte Peter Laudenbach.

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