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Kultur: Sebastian Baumgarten inszeniert in Kassel den "Rosenkavalier" als Love-Story mit Widerhaken

Einmal dürfen auch diejenigen aufatmen, die mit der Hoffnung auf ein klassisches Rokoko-Kunstidyll in diesen Kasseler "Rosenkavalier" gekommen sind. Dann nämlich, wenn Octavian im schicksalsentscheidenden Falling-in-Love-Moment der Rosenüberreichung tatsächlich eine silberbetresste Livree trägt, die geradewegs aus der Wiener Staatsoper geklaut sein könnte.

Einmal dürfen auch diejenigen aufatmen, die mit der Hoffnung auf ein klassisches Rokoko-Kunstidyll in diesen Kasseler "Rosenkavalier" gekommen sind. Dann nämlich, wenn Octavian im schicksalsentscheidenden Falling-in-Love-Moment der Rosenüberreichung tatsächlich eine silberbetresste Livree trägt, die geradewegs aus der Wiener Staatsoper geklaut sein könnte. Ein trügerischer Augenblick, denn in diesem Fall sitzt das Kostüm dem Wienie-Teenie so unbequem wie Schlips und Kragen einem Konfirmanden - und wird darum auch nach wenigen Minuten wieder in der mitgebrachten Sporttasche verstaut.

Im Grunde können weder Octavian noch Sophie mit dieser zeremoniösen Geste etwas anfangen, ebenso wenig wie mit der silbernen Rose im Plastikzylinder, die Sophie verlegen auf dem Boden abstellt wie einen unerwünschten Jahrmarktsgewinn. Statt dessen wird auf den Lümmelsofas im Hause Faninal lieber geknutscht, während Papa und Baron Ochs Geschäftliches in der Sauna bereden und das Premierenpublikum im Kasseler Staatstheater vor Empörung ins Schwitzen gerät. Der aufgestaute Unmut wird später als Entrüstungssturm über Sebastian Baumgarten und sein Team Thilo Reuther (Bühne) und Hildegard Altmeyer (Kostüme) hereinbrechen.

Bei kaum einem Werk bestraft das Publikum die Abweichung vom Opern-Bilderbuch so unerbittlich wie bei Strauss / Hofmannsthals Evergreen. Um die Rosenkavalier-Fans auf die Palme zu bringen, braucht es weder tanzende Skelette noch Babylonier mit Hornissenleibern. Da reicht es schon, wenn ein junger Regisseur das Werk einfach aus der Perspektive junger Leute erzählt. Der 30-jährige Sebastian Baumgarten ist ein Kind der Party-Generation, er erzählt seine Opern mit dem ästhetischen Vokabular der Loveparade und tut das so unverkrampft und ehrlich wie derzeit wohl niemand sonst in Deutschland. Sein "Rosenkavalier" ist die Geschichte eines siebzehnjährigen dauerdurstigen Halbstarken (Hana Minutillo singt und spielt diesen Octavian ganz wunderbar und bekommt selbst die Travestie-Szenen ohne Peinlichkeit hin) und eines Bravo-Girlies mit Minirock und Haarspange namens Sophie (typegecastet als käme sie direkt aus "Sonnenallee": Petra Labitzke).

Die anderen, das Erwachsenenpaar Baron Ochs und Marschallin, treten darüber in den Hintergrund: Ihr gewichtiger Zweikampf als personifizierter Gegensatz zwischen Natur und Kultur, an dem sich etliche "Rosenkavalier"-Inszenierungen abmühen, deutet Baumgarten schlicht zur vorweggenommenen Zukunft des jungen Liebespaars um: Wenn ganz am Schluss Octavian und Sophie ihr "ist ein Traum, kann nicht wirklich sein" in den Sternenhimmel jubilieren, tritt das Volk hinzu und stülpt ihnen langsam den gesellschaftlichen Holzrahmen über. Sophie muss - selbst bald eine allein gelassene Marschallin - darin verharren, während sich Octavian zu den munteren Hornsignalen des Orchesternachspiels als Jäger durch die Hinterbühne strolcht - auch er wird bald zum Ochs werden.

Eine kühne Sicht, die verblüffende Parallelen zwischen den beiden "Alten" und den beiden "Jungen" freilegt, ohne die Spielebene des "Rosenkavaliers" zu beeinträchtigen - Baumgartens szenische Detailarbeit wertet im Gegenteil sogar Randfiguren eigencharakteristisch auf und erhöht damit die Dichte des Spiels gerade in den (sonst meist durchhängenden) orchestralen Zwischenspielen. Außerdem vertragen geniale Werke nicht nur solche Akzentverschiebungen - sie rechtfertigen ihre kontinuierlichen Neuinszenierungen letztlich damit, dass sie immer wieder Neues preisgeben können. Auch wenn die Rätselbilder, die der ehemalige Ruth Berghaus-Assistent aufgibt, mehr als andere Handschriften ein Einfühlen des Publikums verlangen.

Wie die große Regisseurin stellt auch Baumgarten die poetische Suggestionskraft eines Bildes über den Zeigefinger-Konkretismus eines Harry Kupfer oder Götz Friedrich. Räume werden zwar als Spielorte kenntlich gemacht, sind jedoch immer einer surrealistischen Durchdringung ausgesetzt: Ein Wandschrank im großzügigen Pop-Art-Appartment des ersten Aktes ist da nicht nur Ablage für das Frühstücksgeschirr, sondern zugleich eine nach außen gestülpte Herzkammer der Marschallin: Wie ein Kind zieht sie sich dorthin zurück, wenn sie allein gelassen werden will, und kramt in einem Pappkarton voller alter Kleider. Dem zauberischen Möbelstück entsteigen Baron Ochs ebenso wie ein halbdutzend stumm bedienender Zwerge - alles Gestalten aus der Kleinmädchenwelt, die die Marschallin sonst sorgfältig in sich verschlossen hält.

Es ist, trotz des flinken, leichtgewichtigen Dirigats von Roberto Paternostro, der feinpolierten Orchesterleistung und der weitgehend souveränen Sängerriege vor allem Baumgartens Regie, die diesen "Rosenkavalier" zum Opernereignis macht: Inmitten der an echten Begabungen armen Opernszene hat sich eine starke, eigene Stimme erhoben. Jene Intendanten, die aus Namensnot immer nur nach den Gleichen rufen, werden sie hoffentlich bald hören.Wieder am 14., 19., 23. und 29. April

Jörg Königsdorf

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